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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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soll, die du ja noch mitgemacht hast; er ist jetzt ganz gegen die Deutschen.»
    «Tuzzi?» fragte Ulrich, das Verhör fortsetzend.
    «Der ist der letzte, der etwas erfahren darf! Der würde den Plan sofort verderben. Wir wollen natürlich alle den Frieden, aber wir Militärs haben eine andere Art, ihm zu dienen, als die Bürokraten!»
    «Und Diotima?»
    «Aber ich bitt’ dich! Das ist doch ganz und gar eine Männerangelegenheit, an so etwas kann sie nicht einmal mit Handschuhen denken! Ich bring es nicht über mich, sie mit der Wahrheit zu belästigen. Ich versteh auch, daß ihr der Arnheim nichts davon erzählt. Weißt du, er redet doch sehr viel und schön, da kann es schon ein Genuß sein, einmal über etwas zu schweigen. So wie einen stillen Magenbitter stell ich mir das vor!»
    «Weißt du, daß du ein Schuft geworden bist?! Auf dein Wohl!» Ulrich trank ihm zu.
    «Nein, kein Schuft» verteidigte sich der General. «Ich bin Mitglied einer ministeriellen Konferenz. Bei einer Konferenz bringt jeder vor, was er haben möchte und für das Richtige hält, und zum Schluß ergibt sich etwas daraus, das keiner ganz gewollt hat: eben das Ergebnis. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, ich kann es nicht besser ausdrücken.»
    «Natürlich versteh ich dich. Aber gegen Diotima benehmt ihr euch trotzdem gemein.»
    «Das täte mir leid» sagte Stumm. «Aber weißt du, ein Henker ist ein unehrlicher Kerl, darüber ist nicht zu streiten; dagegen der Seilfabrikant, der bloß der Gefängnisverwaltung die Stricke liefert, kann Mitglied der Ethischen Gesellschaft sein. Das berücksichtigst du nicht genug.»
    «Das hast du von Arnheim!»
    «Kann sein. Ich weiß nicht. Man bekommt heutzutage einen so komplizierten Geist» beklagte sich der General ehrlich.
    «Und was soll ich dabei tun?»
    «Na, schau, ich hab mir gedacht, du bist doch ehemaliger Offizier –»
    «Schon gut. Aber wie hängt das mit ‹Tatmensch› zusammen?» fragte Ulrich beleidigt.
    «Tatmensch?» wiederholte der General erstaunt.
    «Du hast das alles doch damit eingeleitet, daß ich kein Tatmensch sei!?»
    «Ach, so. Das hat damit natürlich gar nichts zu tun. Damit hab ich nur begonnen. Ich meine, der Arnheim hält dich nicht gerade für einen Tatmenschen; das hat er einmal gesagt. Du hast nichts zu tun, meint er, und das bringt dich auf Gedanken. Oder so ähnlich.»
    «Das heißt, auf unnütze? Auf Gedanken, die sich nicht ‹in Machtsphären tragen› lassen? Auf Gedanken um ihrer selbst willen? Mit einem Wort, aufrichtige und unabhängige! Was? Oder vielleicht auf die Gedanken eines ‹weltfernen Ästheten›?»
    «Ja» versicherte Stumm von Bordwehr diplomatisch. «So ähnlich.»
    «Wem ähnlich? Was, glaubst du, ist dem Geist gefährlicher: Träume oder Ölfelder? Du brauchst dir nicht den Mund mit Brot zu verstopfen, laß das sein! Mir ist es ganz egal, was Arnheim von mir denkt. Aber du hast anfangs gesagt: ‹zum Beispiel Arnheim›; wer ist also noch da, für den ich nicht genug Tatmensch bin?»
    «Na, weißt du,» versicherte Stumm «das sind nicht wenige. Ich habe dir ja erzählt, daß jetzt die Parole der Tat ausgegeben ist.»
    «Was heißt das?»
    «Das weiß ich auch nicht genau. Der Leinsdorf hat gesagt, es muß jetzt etwas geschehn!: damit hat es angefangen.»
    «Und Diotima?»
    «Diotima sagt, das ist ein neuer Geist. Und das sagen jetzt viele am Konzil. Ich möchte wissen, ob du das auch kennst: es wird einem geradewegs schwindlig im Bauch, wenn eine schöne Frau ein so bedeutender Kopf ist!?»
    «Das glaub ich gern,» gab Ulrich zu, der sich Stumm nicht entwischen ließ «aber ich möchte nun hören, was Diotima von dem neuen Geist sagt.»
    «Halt die Leute sagen» gab Stumm zur Antwort. «Die Leute am Konzil sagen, die Zeit bekommt einen neuen Geist. Nicht gleich, aber in ein paar Jahren; falls nicht früher etwas Besonderes geschieht. Und dieser Geist soll nicht viel Gedanken enthalten. Auch Gefühle sind jetzt nicht an der Zeit. Gedanken und Gefühle, das ist mehr für Leute, die nichts zu tun haben. Mit einem Wort, es ist halt ein Geist der Tat, mehr weiß ich auch nicht. Aber zuweilen» fügte der General nachdenklich hinzu «habe ich mir schon gedacht, ob das nicht am Ende ganz einfach der militärische Geist ist?!»
    «Eine Tat muß einen Sinn haben!» forderte Ulrich, und als tiefer Ernst, weit hinter diesem narrenhaft gescheckten Gespräch, erinnerte ihn sein Gewissen an die erste Unterhaltung, die er mit Agathe darüber auf der

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