Gesammelte Werke
Schwedenschanze gehabt hatte.
Aber auch der General sagte: «Das habe ich doch gerade ausgesprochen. Wenn man nichts zu tun hat und nicht weiß, was man mit sich anfangen soll, ist man tatkräftig. Dann brüllt man herum, säuft, schlägt sich und schikaniert Roß und Mann. Aber andrerseits wirst du zugeben: wenn man durchaus weiß, was man will, wird man ein Schleicher. Schau dir so einen jungen Generalstäbler an, wenn er die Lippen schweigsam aufeinander preßt und ein Gesicht macht wie der Moltke: zehn Jahre später hat er unter den Knöpfen einen Feldherrnhügel, aber keinen so wohlwollenden wie ich, sondern einen Giftbauch. Wieviel Sinn eine Tat haben darf, ist also schwer zu bestimmen.» Er überlegte und fügte hinzu: «Wenn man es richtig anpackt, kann man beim Militär überhaupt viel lernen, das wird jetzt immer mehr meine Überzeugung; aber meinst du nicht, daß es halt sozusagen das einfachste wäre, wenn doch noch die große Idee gefunden würde?»
«Nein» widersprach Ulrich. «Das war Unsinn.»
«Nun ja, aber dann bleibt wirklich nur die Tat» seufzte Stumm. «Das erkläre ich ja schon beinahe selbst. Erinnerst du dich übrigens, wie ich einmal davor gewarnt habe, daß alle diese übermäßigen Gedanken ja doch nur in Totschlag übergehn? Das müßte man eben verhindern!» stellte er fest. «Da müßte eben doch einer die Führung übernehmen!» lockte er.
«Und welche Aufgabe hat deine Güte dabei mir zugedacht?» fragte nun Ulrich und gähnte unverhohlen.
«Ich geh schon» versicherte Stumm. «Aber nachdem wir uns so gut ausgesprochen haben, hättest du, wenn du ein treuer Kamerad sein wolltest, noch eine wichtige Aufgabe: Zwischen Diotima und Arnheim ist einiges nicht in Ordnung!»
«Was du sagst!» Der Hausherr belebte sich ein wenig.
«Du wirst schon selbst sehen, da brauche ich dir nichts zu erzählen! Zudem vertraut sie dir ja noch mehr als mir.»
«Dir vertraut sie? Seit wann?»
«Sie hat sich etwas an mich gewöhnt» sagte der General stolz.
«Da gratuliere ich.»
«Ja. Aber dann mußt du auch bald zum Leinsdorf gehn. Wegen seiner Abneigung gegen die Preußen.»
«Das tu ich nicht.»
«Aber schau, ich weiß ja, daß du den Arnheim nicht magst. Aber tun mußt du’s trotzdem.»
«Nicht deshalb. Ich geh überhaupt nicht zum Leinsdorf.»
«Warum denn nicht? Er ist so ein feiner alter Herr. Arrogant, und ich kann ihn nicht ausstehn, aber zu dir ist er großartig.»
«Ich zieh mich von der ganzen Geschichte jetzt zurück.»
«Aber der Leinsdorf läßt dich ja nicht. Und Diotima auch nicht. Und ich schon gar nicht! Du wirst mich doch nicht allein lassen?!»
«Mir ist die ganze Geschichte zu dumm.»
«Da hast du ja, wie immer, hervorragend recht. Aber was ist denn nicht dumm?! Schau, ich bin ganz dumm; ohne dich. Also du gehst mir zu Liebe zum Leinsdorf?»
«Aber was ist mit Diotima und Arnheim?»
«Das sag ich dir nicht, sonst gehst du auch zu Diotima nicht!» Der General wurde plötzlich von einem Einfall erleuchtet: «Wenn du willst, kann dir ja der Leinsdorf einen Hilfssekretär aufnehmen, der dich in allem vertritt, was du nicht magst. Oder ich stell dir einen aus dem Kriegsministerium bei. Du ziehst dich soweit zurück, wie du nur willst, aber deine Hand bleibt über mir walten?!»
«Laß mich erst ausschlafen» bat Ulrich.
«Ich gehe nicht früher weg, als du nicht ja sagst.»
«Also, ich werde es überschlafen» gestand Ulrich zu. «Vergiß nicht das Brot der Militärwissenschaft wieder in deine Tasche zu tun!»
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14
Neues bei Walter und Clarisse. Ein Schausteller und seine Zuschauer
Es war die Unruhe seines Zustands, die Ulrich gegen Abend bewog, zu Walter und Clarisse hinaus zu gehn. Unterwegs suchte er sich den Brief ins Gedächtnis zu rufen, den er unauffindbar zwischen seinem Gepäck verstaut oder verloren hatte, erinnerte sich aber an keine Einzelheiten mehr, sondern nur an den letzten Satz «Ich hoffe, du kommst bald zurück» und zusammenfassend an den Eindruck, er müßte dann eigentlich mit Walter sprechen, womit nicht nur Bedauern und Unbehagen, sondern auch Schadenfreude verknüpft war. Bei diesem flüchtigen und unwillkürlichen Gefühl, dem keine Bedeutung zukam, verweilte er nun, statt es zu verscheuchen, und empfand dabei etwas Ähnliches wie ein Schwindliger, den es beruhigt, wenn er sich niedrig machen kann.
Als er zum Haus einbog, sah er Clarisse an der Seitenwand in der Sonne stehn, wo das Pfirsichspalier war; sie hatte die Hände hinten,
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