Gesammelte Werke
hing, wurde es grün oder weißlich – das ließ sich eigentlich nicht recht bezeichnen –, zackte sich in Blätter aus und schwebte im Laternenschein wie Wäschestücke, die in einem leicht dahinfließenden Wasser ausgeschwemmt werden. Ein schmales Eisenband auf zwerghaften Pfählen – nichts als eine Erinnerung und Ermahnung, der Ordnung zu gedenken – lief eine Weile längs des Rasens, worauf das Gebüsch stand, und verschwand dann im Dunkel: Clarisse wußte, daß es dort überhaupt aufhörte; man hatte vielleicht einmal geplant, dieser Gegend etwas gärtnerischen Schmuck zu geben, und hatte es bald wieder aufgegeben. Clarisse rückte eng an Meingast heran, um von seinem Fensterwinkel aus dem Weg möglichst weit entgegenblicken zu können; ihre Nase lag platt an der Scheibe, und die beiden Körper berührten sich so hart und mannigfaltig, als hätte sie sich auf einer Treppe ausgestreckt, was manchmal auch vorkam; um ihren rechten Arm, der Platz geben mußte, legten sich sodann beim Ellenbogen Meingasts lange Finger wie die sehnigen Fänge eines höchst zerstreuten Adlers, der etwa ein Seidentüchlein zerknüllte. Clarisse hatte schon seit einer Weile einen Mann erblickt, mit dem etwas nicht in Ordnung war, das sie nicht herausbekommen konnte: er ging bald zögernd, bald ging er achtlos; es machte den Eindruck, daß sich etwas um seinen Willen zu gehen wickle, und jedesmal, nachdem er es zerrissen hatte, ging er ein Stück wie jeder andere, der nicht gerade Eile hat, aber auch nicht stockt. Der Rhythmus dieser ungleichmäßigen Bewegung hatte Clarisse ergriffen; wenn der Mann an einer Laterne vorbeikam, suchte sie sein Gesicht zu erkennen, und es kam ihr ausgehöhlt und gefühllos vor. Bei der vorletzten meinte sie, daß es ein unbedeutendes, ungutes und scheues Gesicht sei; als er aber auf die letzte zukam, die beinahe unter ihrem Fenster stand, war sein Gesicht sehr blaß, und es schwamm im Licht hin und her, wie das Licht auf dem Dunkel hin und her schwamm, so daß sich daneben der dünne Eisenpfahl der Laterne sehr aufrecht und erregt ausnahm und sich mit einem eindringlicheren Hellgrün, als ihm eigentlich zugekommen wäre, ins Auge stellte.
Alle vier hatten sie nach und nach diesen Mann zu beobachten begonnen, der sich ungesehen wähnte. Er merkte jetzt das Gebüsch, das im Licht badete, und es erinnerte ihn an die Zacken eines Frauenunterrocks, so dick, wie er noch keinen gesehen hatte, wohl aber einen sehen mochte. In diesem Augenblick hatte ihn sein Entschluß gefaßt. Er stieg über die niedere Einzäunung, er stand auf dem Rasen, der ihn an die grüne Holzwolle unter den Bäumen einer Spielzeugschachtel erinnerte, sah eine kurze Weile fassungslos vor seine Füße, wurde von seinem Kopf geweckt, der sich vorsichtig umblickte, und verbarg sich im Schatten, wie es seine Gewohnheit war. Ausflügler kehrten heim, die das warme Wetter ins Freie gelockt hatte, man hörte ihren Lärm und ihre Lustbarkeit schon von weitem; es erfüllte den Mann mit Angst, und er suchte Genugtuung dafür unter dem Blätterunterrock. Clarisse wußte noch immer nicht, was der Mann habe. Er kam jedesmal hervor, wenn ein Trupp Menschen vorbeizog und die Augen durch den Laternenschein für das Dunkel blind wurden. Er schob sich dann, ohne Schritte zu machen, nahe an diesen Lichtkreis heran wie einer, der an einem seichten Ufer nicht über die Sohlenränder ins Wasser geht. Es fiel Clarisse auf, wie bleich der Mann war, sein Gesicht war zu einer blassen Scheibe verzerrt. Sie empfand heftiges Mitleid mit ihm. Aber er führte sonderbare kleine Bewegungen aus, die sie lange Zeit nicht verstand, bis sie plötzlich ganz entsetzt Halt für ihre Hand suchen mußte; und weil Meingast noch immer ihren Arm festhielt, so daß sie keine weiten Bewegungen machen konnte, erfaßte sie seine breite Hose und klammerte sich Schutz suchend an das Tuch, das am Bein des Meisters zerrte wie eine Fahne im Sturm. So standen die beiden, ohne loszulassen.
Ulrich, der es als erster bemerkt zu haben glaubte, daß der Mann unter den Fenstern einer jener Kranken sei, die durch die Regelwidrigkeit ihres Geschlechtslebens die Neugierde der Regelmäßigen lebhaft beschäftigen, machte sich eine Weile überflüssigerweise Sorgen, wie Clarisse, da sie doch so unsicher sei, diese Entdeckung aufnehmen werde. Dann vergaß er das und hätte nun selbst gern gewußt, was in solch einem Menschen eigentlich vorgehe. Die Veränderung, dachte er, müsse wohl in dem
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