Gesammelte Werke
die Engel im Paradies täten nichts, als im Angesicht des Herrn zu verweilen und ihn zu lobpreisen, hast du dir dieses selige Nichtstun und Nichtsdenken vorstellen können?»
«Ich habe es mir immer etwas langweilig vorgestellt, was gewiß an meiner Unvollkommenheit liegt» war die Antwort Agathes.
«Aber nach allem, worüber wir uns verständigt haben,» erklärte Ulrich «mußt du dir jetzt vorstellen, daß dieses Meer eine Reglosigkeit und Abgeschiedenheit ist, die von immerwährenden kristallisch reinen Begebenheiten erfüllt wird. Alte Zeiten haben versucht, sich ein solches Leben schon auf Erden vorzustellen: das ist das Tausendjährige Reich, geformt nach uns selbst und doch keins der Reiche, wie wir sie kennen! Und so werden wir leben! Wir werden alle Selbstsucht von uns abtun, wir werden weder Güter, noch Erkenntnisse, noch Geliebte, noch Freunde, noch Grundsätze, noch uns selbst sammeln: demnach wird sich unser Sinn öffnen, auflösen gegen Mensch und Tier und so in einer Weise erschließen, daß wir gar nicht mehr wir bleiben können und uns nur in alle Welt verflochten aufrecht erhalten werden!»
Dieses kleine Zwischengespräch war ein Scherz gewesen. Er hatte dabei Papier und Blei zur Hand, machte Vormerkungen und besprach dazwischen mit seiner Schwester, was ihrer warte, wenn sie den Verkauf des Hauses und seiner Einrichtung durchführe. Er war auch noch böse und wußte selbst nicht, ob er lästere oder phantasiere. Und über dem allen waren sie nicht mehr dazu gekommen, sich wegen des Testaments gewissenhaft auseinanderzusetzen.
Auch heute lag wohl in diesem mannigfaltigen Zustandekommen der Grund dafür, daß Ulrich keineswegs bis zur tätigen Reue gelangte. Der Handstreich seiner Schwester hatte viel an sich, das ihm gefiel, obgleich er selbst der Geschlagene war; er mußte sich eingestehn, daß dadurch der «nach der Regel der freien Geister» dahinlebende Mensch, dem er in sich allzuviel Bequemlichkeit zugebilligt hatte, mit einem Schlag in einen gefährlichen Widerspruch zu dem tief unbestimmten geraten war, von dem der wirkliche Ernst ausgeht. Er wollte auch diesem Geschehen nicht ausweichen, indem er es schnell und in gewöhnlicher Weise gutmache: Aber dann gab es keine Regel, und man mußte das Geschehnis sich entwickeln lassen.
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16
Wiedersehen mit Diotimas diplomatischem Gatten
Der Morgen traf Ulrich nicht klarer an, und spät am Nachmittag entschloß er sich – in der Absicht, den Ernst, der ihn bedrückte, zu erleichtern – seine mit der Befreiung der Seele von der Zivilisation beschäftigte Kusine aufzusuchen.
Zu seiner Überraschung wurde er, ehe noch Rachel aus Diotimas Zimmer zurückgekehrt war, von Sektionschef Tuzzi in Empfang genommen, der ihm entgegenkam. «Meine Frau fühlt sich heute nicht wohl» erläuterte der geübte Ehegatte mit jenem gedankenlosen Zartgefühl in der Stimme, dessen Klang durch allmonatlichen Gebrauch schon zu einer Formel geworden ist, in der das häusliche Geheimnis offen daliegt. «Ich weiß nicht, ob sie Ihren Besuch wird empfangen können.» Er war zum Ausgehen angekleidet, leistete Ulrich aber bereitwillig Gesellschaft.
Dieser benutzte die Gelegenheit, sich nach Arnheim zu erkundigen.
«Arnheim ist in England gewesen und befindet sich jetzt in Petersburg « erzählte Tuzzi. Ulrich war bei dieser bedeutungslosen und nur natürlichen Nachricht unter dem Eindruck seiner bedrückenden Erlebnisse so zumute, als strömte Welt, Fülle und Bewegung auf ihn zu.
«Es ist ganz gut so» meinte der Diplomat. «Er soll nur recht viel hin und her reisen. Man kann daran seine Beobachtungen machen und erfährt allerhand.»
«Sie glauben also immer noch, daß er mit einem pazifistischen Auftrag des Zaren reist:» fragte Ulrich erheitert.
«Ich glaube das mehr denn je» versicherte schlicht der für die Ausführung der österreichisch-ungarischen Politik verantwortliche Amtsleiter. Aber plötzlich zweifelte Ulrich, ob Tuzzi wirklich so ahnungslos sei oder sich nur so stelle und ihn zum Besten habe; etwas verärgert ließ er von Arnheim ab und erkundigte sich: «Ich habe gehört, daß inzwischen hier die Parole der Tat ausgegeben worden ist?»
Wie immer schien es Tuzzi Vergnügen zu machen, gegenüber der Parallelaktion den Unschuldigen und Schlauen zu spielen; er zuckte die Achseln und grinste: «Ich will meiner Frau nicht vorgreifen, Sie werden es ja doch von ihr hören, sobald Sie von ihr empfangen werden können!» Aber nach einer kleinen Weile
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