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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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muß sagen, ich glaube, mir ist das ganz egal. Das sollen die Professoren einstweilen unter sich ausmachen, wenn sie es wichtig finden. Aber praktisch gesprochen –» er bohrte nachdenklich die Zigarette in den Aschenbecher und blickte dann ärgerlich auf: «entscheiden die Menschen mit zwei Stauungen oder die mit einer Stauung über die Welt?»
    «Ich dachte, daß Sie von mir nur zu hören wünschen, wie ich mir solche Gedanken entstanden denke?»
    «Wenn Sie mir das gesagt haben sollten, habe ich Sie leider nicht verstanden» meinte Tuzzi.
    «Aber sehr einfach: Sie besitzen die zweite Stauung nicht, also besitzen Sie das Prinzip der Weisheit nicht und verstehen kein Wort von dem, was Menschen reden, die eine Seele besitzen. Und ich wünsche Ihnen Glück dazu!»
    Es war Ulrich allmählich bewußt geworden, daß er in schimpflicher Form und wunderlicher Gesellschaft Gedanken ausspreche, die gar nicht ungeeignet sein mochten, die Gefühle zu erklären, von denen sein eigenes Herz unsicher bewegt worden war. Die Vermutung, daß bei sehr gesteigerter Empfänglichkeit ein Über- und Zurückquellen der Erlebnisse entstehen könne, das die Sinne grenzenlos und weich wie ein Wasserspiegel mit allen Dingen verbinde, rief in ihm die Erinnerung an die großen Gespräche mit Agathe zurück, und sein Gesicht nahm unwillkürlich einen teils verhärteten, teils verlorenen Ausdruck an. Tuzzi betrachtete ihn unter träg gehobenen Augendeckeln und merkte an der Art von Ulrichs Sarkasmus etwas davon, daß er selbst hier nicht der einzige sei, dessen «Stauungen» nicht seinen Wünschen entsprächen.
    Es war den beiden kaum aufgefallen, wie lange Rachel ausblieb, die von Diotima zurückgehalten worden war, um ihr rasch zu helfen, sich selbst und das Krankenzimmer in eine Ordnung des Leidens zu bringen, die zwar frei sein sollte, aber doch schicklich, Ulrich zu empfangen: Nun überbrachte das Mädchen die Meldung, daß er nicht fortgehen, sondern sich noch ein wenig gedulden möge, und kehrte eilig wieder zur Herrin zurück.
    «Alle Sätze, die Sie mir genannt haben, sind natürlich Allegorien» setzte Ulrich nach dieser Unterbrechung das Gespräch fort, um den Hausherrn für die Aufmerksamkeit zu entschädigen, daß er ihm Gesellschaft leiste. «Eine Art Schmetterlingssprache! Und ich habe von den Leuten wie Arnheim ungefähr den Eindruck, daß sie sich mit diesem hauchdünnen Nektar einen Bauch ansaufen! Das heißt,» fügte er rasch hinzu, denn es fiel ihm noch rechtzeitig ein, daß er nicht auch Diotima mitbeleidigen dürfe «gerade von Arnheim habe ich diesen Eindruck, ebenso wie ich trotzdem von ihm auch den Eindruck habe, daß er seine Seele gleich einer Brieftasche am Busen trägt!»
    Tuzzi legte Aktenmappe und Handschuhe wieder hin, die er bei Rachels Eintritt an sich genommen hatte, und erwiderte heftig: «Wissen Sie, was es ist? Ich meine, was Sie mir so interessant erklärt haben. Das ist nichts als der Geist des Pazifismus!» Er machte eine Pause, damit sich diese Eröffnung auswirke. «Der Pazifismus in den Händen von Dilettanten schließt ohne Zweifel eine große Gefahr ein» fügte er bedeutsam hinzu.
    Ulrich wollte lachen, aber Tuzzi meinte es tödlich ernst, und er hatte da zwei Dinge zusammengebracht, die wirklich entfernt verwandt waren, so komisch es auch sein mochte, Liebe und Pazifismus dadurch verbunden zu sehn, daß beide in ihm den Eindruck einer dilettantischen Ausschweifung hervorriefen. So wußte Ulrich nicht, was er antworten solle, und benutzte die Gelegenheit bloß, um auf die Parallelaktion zurückzukommen, indem er einwandte, daß in ihr doch gerade eine Parole der Tat ausgegeben worden sei.
    «Das ist eine Leinsdorf-Idee!» äußerte Tuzzi wegwerfend. «Erinnern Sie sich noch an die letzte Besprechung hier bei uns kurz vor Ihrer Abreise? Leinsdorf hat gesagt: ‹Irgend etwas muß geschehn!›: das ist jetzt das Ganze, das nennt man jetzt die Parole der Tat! Und natürlich sucht Arnheim dem seinen russischen Pazifismus zu unterschieben. Erinnern Sie sich, wie ich davor gewarnt habe? Ich fürchte, man wird noch an mich denken! Nirgends ist die Außenpolitik so schwierig wie bei uns, und ich habe schon damals gesagt: Wer sich heute zumutet, grundlegende politische Ideen zu verwirklichen, muß ein Stück Bankrotteur und Verbrecher in sich haben!» – Diesmal ging Tuzzi ordentlich aus sich heraus, wohl weil Ulrich schon im nächsten Augenblick zu seiner Gattin gerufen werden konnte oder weil er in dieser

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