Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
die Lippen. Wenn Sie aber eine Seele hätten, würden Sie jetzt meine Seele einfach betrachten und bewundern. Wir würden in eine Höhe gelangen, wo es keine Gedanken, Worte und Taten gibt. Dagegen geheimnisvolle Mächte und ein erschütterndes Schweigen! Darf eine Seele rauchen?» fragte er und zündete sich eine Zigarette an; dann erst erinnerte er sich seiner Hausherrenpflicht und hielt auch Ulrich die Tabatiere hin. Im Grunde war er etwas stolz darauf, daß er die Bücher Arnheims nun gelesen hatte, und gerade weil sie ihm unausstehlich blieben, schmeichelte es ihm als eine persönliche Entdeckung, daß er den möglichen Nutzen ihrer quellenden Ausdrucksweise für die undurchdringlichen Absichten der Diplomatie erkannt habe. Wirklich hätte auch kein anderer eine so schwere Arbeit vergeblich leisten wollen, und jeder hätte sich an seiner Stelle wohl noch eine Weile nach Bedürfnis lustig gemacht, wäre dann aber bald der Sehnsucht erlegen, probeweise ein oder das andere Zitat anzubringen oder etwas, das man ohnehin nicht genau sagen kann, in einen der ärgerlich unklaren neuen Gedanken zu kleiden. Das geschieht widerstrebend, weil man den neuen Anzug noch als lächerlich empfindet, aber man gewöhnt sich rasch an ihn, und so ändert sich unmerklich der Geist der Zeit in seinen Anwendungsformen, und im Besonderen könnte Arnheim einen neuen Verehrer gewonnen haben. Sogar Tuzzi gab schon zu, daß man sich unter der Forderung, Seele und Wirtschaft zu vereinen, trotz aller grundsätzlichen Gegnerschaft, etwas wie eine Wirtschaftspsychologie vorstellen könne, und was ihn unerschütterlich vor Arnheim schützte, war eigentlich nur Diotima. Denn zwischen ihr und Arnheim hatte damals – allen unbekannt – schon eine Erkaltung Platz zu greifen begonnen, die alles, was Arnheim je über Seele gesagt hatte, mit dem Verdacht belastete, nur eine Ausrede zu sein, was zur Folge hatte, daß Tuzzi diese Aussprüche mit größerer Gereiztheit denn je vorgeworfen bekam. Es war verzeihlich, daß er unter diesen Umständen annahm, die Beziehung meiner Gattin zu dem Fremden sei noch im Ansteigen; die keine Liebe war, gegen die ein Ehemann seine Maßnahmen treffen konnte, sondern ein «Zustand der Liebe» und «liebendes Denken» und so erhaben über jeden niederen Verdacht, daß Diotima selbst offen von dem sprach, was sie ihr an Gedanken eingab, ja in letzter Zeit sogar ziemlich unnachsichtig von Tuzzi forderte, daß er geistig daran teilnehme.
    Er fühlte sich ungemein verständnislos und empfindlich, von diesem Zustand umgeben, der ihn blind machte wie ein allseitiges Sonnenlicht ohne einen festen Sonnenstand, nach dem man sich richten könnte, um Schatten und Schonung zu finden.
    Und er hörte Ulrich reden. «Aber ich möchte Ihnen das Folgende zu bedenken geben. In uns ist gewöhnlich ein stetiger Zu- und Abfluß des Erlebens. Die Erregungen, die sich in uns bilden, werden von außen angestiftet und fließen als Handlungen oder Worte wieder nach außen ab. Denken Sie sich das wie ein mechanisches Spiel. Und dann denken Sie es sich gestört: So muß sich eine Stauung ergeben? Irgendeine Art aus den Ufern zu treten: Unter Umständen mag es auch bloß eine Aufblähung sein –»
    «Sie reden wenigstens vernünftig, wenn es auch Unsinn ist ...» äußerte Tuzzi anerkennend. Er begriff nicht gleich, daß da wirklich eins Erklärung heranreifen sollte, aber er hatte seine Haltung bewahrt, und während er sich innen im Elend verlor, war auf seinen Lippen das kleine boshafte Lächeln so stolz liegen geblieben, daß er nur wieder hineinzuschlüpfen brauchte.
    «Ich glaube, die Physiologen sagen,» fuhr Ulrich fort «daß das, was wir bewußtes Handeln nennen, daraus entsteht, daß der Reiz sozusagen nicht einfach durch einen Reflexbogen ein- und ausfließt, sondern zu einem Umweg gezwungen wird; dann gleichen also die Welt, die wir erleben, und die Welt, in der wir handeln, obwohl sie uns als ein- und dieselbe vorkommen, eigentlich dem Ober- und Unterwasser in einem Mühlgang und sind durch eine Art Bewußtseinsstausee verbunden, von dessen Höhe, Kraft und ähnlichem die Regelung des Zu- und Abflusses abhängt. Oder mit anderen Worten: wenn auf einer der beiden Seiten eine Störung eintritt – eine Entfremdung der Welt, oder eine Unlust zu handeln –, so könnte man doch ganz gut annehmen, daß sich auf diese Weise auch ein zweites, höheres Bewußtsein zu bilden vermöchte? Oder meinen Sie, nicht:»
    «Ich:» sagte Tuzzi. «Ich

Weitere Kostenlose Bücher