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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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unmöglich.
    Überdies war jenem verhängnisvollen Auftritt der Beschluß vorangegangen, daß sie in den nächsten Wochen zusammen leben oder doch wenigstens wohnen wollten, und in der kurzen dann noch bis zum Abschied übriggebliebenen Zeit hatten sie hauptsächlich davon sprechen müssen. Sie waren zunächst «für die Dauer der Scheidung» übereingekommen, damit Agathe Rat und Schutz habe. Aber nun erinnerte sich Ulrich, während er sich das ins Gedächtnis rief, auch einer älteren Bemerkung seiner Schwester, daß sie «Hagauer umbringen» wolle, und offenbar hatte dieser «Plan» in ihr gearbeitet und eine neue Gestalt angenommen. Sie hatte lebhaft darauf bestanden, das Familiengrundstück rasch zu verkaufen, und das mochte wohl schon den Sinn gehabt haben, daß sich der Besitz verflüchtige, wenngleich es auch aus anderen Gründen ratsam erscheinen konnte; jedenfalls hatten die Geschwister beschlossen, eine Maklerfirma zu beauftragen, und hatten die Bedingungen festgesetzt. Also mußte Ulrich jetzt auch darüber nachdenken, was mit seiner Schwester eigentlich geschehen solle, nachdem er in sein nachlässig-einstweiliges und von ihm selbst nicht anerkanntes Leben zurückgekehrt wäre. Die Lage, in der sie sich befand, konnte unmöglich andauern. So überraschend nah sie einander auch in der kurzen Zeit gekommen waren – der Anschein einer Schicksalskreuzung, dachte Ulrich, wenn auch wahrscheinlich aus allerhand unabhängigen Einzelheiten zustandegekommen; während Agathe vielleicht eine abenteuerlichere Auffassung davon hatte – so wenig wußten sie von einander in den mannigfachen oberflächlichen Beziehungen, von denen ein gemeinsames Leben abhängt. Wenn er unbefangen über seine Schwester nachdachte, fand Ulrich sogar viele ungelöste Fragen, und selbst über ihre Vergangenheit vermochte er sich kein sicheres Urteil zu bilden; den meisten Aufschluß schien ihm noch die Vermutung zu geben, daß sie alles, was durch sie oder mit ihr geschehe, sehr nachlässig behandle und daß sie sehr ungewiß und vielleicht phantastisch in Erwartungen lebe, die neben ihrem wirklichen Leben herliefen, denn eine solche Erklärung wurde auch dadurch nahegelegt, daß sie so lange mit Hagauer gelebt und so schnell mit ihm gebrochen habe. Und auch die Unüberlegtheit, womit sie die Zukunft behandelte, paßte dazu: sie war von Hause fortgegangen, das schien ihr einstweilen zu genügen, und Fragen, was weiter geschehen werde, wich sie aus. Und auch Ulrich vermochte weder die Vorstellung zu bilden, daß sie nun ohne Mann bleiben und unbestimmt wie ein junges Mädchen harren werde, noch konnte er sich vorstellen, wie der Mann aussehen müßte, zu dem seine Schwester passe; das hatte er auch ihr kurz vor dem Abschied gesagt.
    Sie aber hatte ihm erschrocken – und Wahrscheinlich ein wenig mit närrisch gespieltem Schreck – ins Gesicht gesehn und dann ruhig mit der Gegenfrage geantwortet: «Kann ich denn in der nächsten Zeit nicht einfach bei dir wohnen, ohne daß wir alles entscheiden?»
    So, und um nichts bestimmter, war also der Beschluß, daß sie zusammenzögen, bekräftigt worden. Aber Ulrich begriff, daß mit diesem Versuch der Versuch seines «Lebens auf Urlaub» abschließen müsse. Er wollte nicht überlegen, welche Folgen das haben werde, aber daß sein Leben fortab gewissen Einschränkungen unterworfen wäre, war ihm nicht unwillkommen, und zum erstenmal dachte er wieder an den Kreis und zumal an die Frauen der Parallelaktion. Die Vorstellung, sich von allem abzuschließen, die mit der neuen Veränderung verbunden war, dünkte ihn wundervoll. So wie an Räumen oft nur eine Kleinigkeit zu ändern ist, damit aus einem lustlosen Schallen eine herrliche Resonanz entsteht, veränderte sich in seiner Phantasie sein kleines Haus zu einer Muschel, in der man wie einen fernen Strom das Rauschen der Stadt hörte.
    Und dann hatte es doch wohl in dem letzten Teil dieses Gesprächs auch noch ein. besonderes kleines Gespräch gegeben:
    ««Wir werden wie die Eremiten leben,» sagte Agathe mit einem lustigen Lächeln «aber in Liebesfragen bleibt natürlich jeder frei. Du wenigstens bist ungehindert!» versicherte sie.
    «Weißt du,» gab Ulrich darauf zur Antwort «daß wir in das Tausendjährige Reich einziehn?».
    «Was ist das?»
    «Wir haben schon so viel von jener Liebe gesprochen, die nicht wie ein Bach zu einem Ziel fließt, sondern wie das Meer einen Zustand bildet! Sei nun ehrlich: Wenn man dir in der Schule erzählt hat,

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