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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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begann das Bärtchen auf seiner Oberlippe zu zucken, und die großen dunklen Augen in dem lederbraunen Gesicht glänzten von einem unsicheren Leid. «Sie sind doch auch solch ein Schriftgelehrter,» sagte er zögernd «können Sie mir vielleicht erklären, was es heißt, wenn ein Mann Seele hat?»
    Es schien, daß Tuzzi wirklich über diese Frage sprechen wolle, und offenbar rief seine Unsicherheit den Eindruck, daß er leide, hervor. Als Ulrich nicht gleich antwortete, fuhr er fort: «Wenn man sagt: ‹eine Seele von einem Menschen›, so meint man einen treuen, pflichtgeduldigen, aufrichtigen Kerl, – ich habe so einen Kanzleidirektor: aber da hat man es doch schließlich mit einer subalternen Eigenschaft zu tun! Oder es ist Seele eine Eigenschaft von Frauen: das ist dann ungefähr soviel wie daß sie leichter weinen als Männer und leichter rot werden –»
    «Ihre Frau Gemahlin hat Seele» verbesserte ihn Ulrich so ernst, als stellte er fest, sie habe nachtblaues Haar.
    Eine leichte Blässe eilte über Tuzzis Gesicht. «Meine Frau hat Geist,» sagte er langsam «sie gilt mit Recht für eine geistvolle Frau. Ich plage sie manchmal und werfe ihr vor, daß sie ein Schöngeist sei. Dann ärgert sie sich. Aber das ist noch nicht Seele –» Er dachte ein wenig nach. «Waren Sie schon einmal bei einer Mystikerin?» fragte er dann. «Sie liest aus der Hand oder aus einem Haar die Zukunft, unter Umständen verblüffend richtig: Das sind so Gaben oder Tricks. Aber können Sie sich etwas Sinnvolles vorstellen, wenn jemand beispielsweise sagt, daß Anzeichen für das Heraufkommen einer Zeit vorhanden sein sollen, wo sich unsere Seelen quasi ohne Vermittlung der Sinne erblicken werden? Ich will gleich hinzufügen,» ergänzte er rasch «daß das nicht etwa nur bildlich zu verstehen ist, sondern wenn Sie nicht gut sind, Sie mögen machen, was Sie wollen, so soll man es heute, da das bereits eine Zeit der erwachenden Seele ist, viel deutlicher spüren als in früheren Jahrhunderten! Glauben Sie das?»
    Man wußte bei Tuzzi nie, wo sein Sticheln ihm selbst oder dem Zuhörer galt, und Ulrich antwortete auf alle Fälle: «Ich würde es an Ihrer Stelle eben auf den Versuch ankommen lassen!»
    «Machen Sie keine Witze, Verehrtester, das ist unvornehm, wenn man sich in Sicherheit befindet» beklagte sich Tuzzi. «Aber meine Frau verlangt von mir das ernsthafte Verständnis solcher Sätze, auch wenn ich ihnen nicht beipflichten sollte, und ich muß da kapitulieren, ohne daß ich mich überhaupt verteidigen kann. So habe ich mich in meiner Not erinnert, daß Sie doch auch so ein Schriftgelehrter sind –?»
    «Die beiden Behauptungen sind von Maeterlinck, wenn ich mich nicht irre» half Ulrich.
    «So!? Von –? Ja, das könnte schon sein. Das ist dieser –? Sehen Sie, sehr gut: dann ist er vielleicht auch der, der behauptet, daß es keine Wahrheit gibt? Außer für den liebenden Menschen! sagt er. Wenn ich einen Menschen liebe, so soll ich unmittelbar an einer geheimnisvollen Wahrheit teilhaben, die tiefer ist als die gewöhnliche. Dagegen wenn wir etwas auf Grund genauer Menschenkenntnis und Beobachtung aussprechen, so soll es natürlich wertlos sein. Das soll auch von diesem Ma – Mann herrühren?»
    «Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht. Es würde zu ihm passen.»
    «Ich habe mir eingebildet, daß das von Arnheim ist.»
    «Arnheim hat viel von ihm angenommen, und er viel von anderen, beide sind sie begabte Eklektiker.»
    «So? Also dann sind das alte Sachen? Aber dann erklären Sie mir, um Himmelswillen, wie man so etwas heute drucken lassen darf!?» bat Tuzzi. «Wenn mir meine Frau antwortet: ‹Verstand beweist gar nichts, Gedanken reichen nicht bis an die Seele!› oder: ‹Über der Genauigkeit gibt es ein Reich der Weisheit und Liebe, das man durch überlegte Worte nur entweiht!› so verstehe ich, wie sie dazu kommt: sie ist eben eine Frau, sie verteidigt sich in dieser Weise gegen die Logik des Mannes! Aber wie kann das ein Mann sagen?!» Tuzzi rückte näher und legte Ulrich die Hand aufs Knie: «Die Wahrheit schwimmt wie ein Fisch in einem unsichtbaren Prinzip; sobald man sie herausgreift, ist sie tot: was sagen Sie dazu? Hängt das vielleicht mit dem Unterschied zwischen einem ‹Erotiker› und einem ‹Sexualiker› zusammen?»
    Ulrich lächelte. «Soll ich es Ihnen wirklich sagen?»
    «Ich brenne darauf!»
    «Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.»
    «Sehen Sie! Unter Männern bringt man so etwas nicht über

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