Gesammelte Werke
Libyen, österreichisch-serbische Spannung, das Adriaproblem: ... Ist das ein Gleichgewicht? Unser unvergeßlicher Baron Ährental – aber ich will Sie nicht länger aufhalten!»
«Schade» versicherte Ulrich. «Wenn man das europäische Gleichgewicht so auffassen darf, dann drückt sich in ihm ja aufs beste der europäische Geist aus!»
«Ja, das ist das Interessante» gab Tuzzi, schon in der Türe, ergeben lächelnd, zurück. «Und in diesem Sinne ist die geistige Leistung unserer Aktion nicht zu unterschätzen!»
«Warum hindern Sie das nicht?»
Tuzzi zuckte die Achseln. «Wenn bei uns ein Mann in der Stellung Seiner Erlaucht etwas will, so kann man nicht dagegen auftreten. Man kann bloß Obacht geben!»
«Und wie geht es Ihnen?» fragte Ulrich, nachdem Tuzzi gegangen war, die kleine schwarz-weiße Schildwache, die ihn jetzt zu Diotima führte.
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17
Diotima hat ihre Lektüre gewechselt
«Lieber Freund,» sagte Diotima, als Ulrich bei ihr eintrat «ich wollte Sie nicht gehen lassen, ohne Sie gesprochen zu haben, aber ich muß Sie so empfangen!» – Sie trug ein Hauskleid, worin die Majestät ihrer Form durch eine Zufallsstellung ein wenig an Schwangerschaft erinnerte, was dem stolzen Körper, der noch nie geboren hatte, etwas von der zuweilen lieblichen Schamlosigkeit der Mutterleiden verlieh; ein Pelzkragen lag neben ihr auf dem Sofa, mit dem sie sich offenbar gerade den Leib gewärmt hatte, und um die Stirn trug sie einen Umschlag gegen Migräne, der auf seinem Platz hatte bleiben dürfen, weil sie wußte, daß er sie ähnlich kleide wie eine griechische Binde. Obwohl es spät war, brannte kein Licht, und der Geruch von Heil- und Erfrischungsmitteln gegen ein unbekanntes Leid lag in der Luft vermischt mit einem kräftigen Wohlgeruch, der über alle einzelnen Gerüche wie eine Decke geworfen worden war.
Ulrich beugte sein Gesicht tief, während er Diotimas Hand küßte, als wollte er am Duft des Arms die Veränderungen wahrnehmen, die während seiner Abwesenheit vorsichgegangen seien. Aber die Haut strömte nur den vollen, satten, gebadeten Geruch aus wie alle Tage.
«Ach, lieber Freund,» wiederholte Diotima «es ist gut, daß Sie zurückkommen – Oh!» stöhnte sie plötzlich lächelnd «ich habe so heftige Magenschmerzen!»
Diese Mitteilung, die, von einem natürlichen Menschen gemacht, so natürlich ist wie ein Wetterbericht, gewann im Munde Diotimas den ganzen Nachdruck eines Zusammenbruchs und Geständnisses.
«Kusine?!» rief Ulrich aus und beugte sich lächelnd vor, um ihr ins Gesicht zu sehn. Es hatte sich in ihm, was Tuzzi zart über das üble Befinden seiner Gattin angedeutet hatte, in diesem Augenblick mit der Vermutung verwirrt, daß Diotima schwanger geworden sei und die Entscheidung nun über das Haus hereingebrochen.
Matt wehrte sie ab, die ihn halb erriet. Sie hatte in Wahrheit bloß Menstruationskrämpfe, was früher allerdings nie vorgekommen war und dunkel ahnbar mit ihrem Schwanken zwischen Arnheim und ihrem Gatten zusammenhing, das seit einigen Monaten von solchen Beschwerden begleitet wurde. Als sie von Ulrichs Rückkehr hörte, bedeutete es ihr einen Trost, und sie begrüßte in ihm den Vertrauten ihrer Kämpfe, weshalb sie ihn vorgelassen hatte. Sie lag da, wahrte nur halb die Haltung des Sitzens und war in seiner Gesellschaft, den Schmerzen preisgegeben, die in ihr wühlten, ein offenes Stück Natur ohne Zäune und Verbotstafeln, was selten genug bei ihr vorkam. Immerhin hatte sie angenommen, daß es glaubhaft sein werde, wenn sie nervöse Magenschmerzen vorschütze, und geradezu ein Zeichen empfindsamer Naturanlage; sonst hätte sie sich ihm nicht gezeigt.
«Nehmen Sie doch etwas ein» schlug Ulrich vor.
«Ach,» seufzte Diotima «das kommt nur von den Erregungen. Meine Nerven werden es nicht mehr lange aushalten!»
Es entstand eine kleine Pause, weil sich Ulrich nun eigentlich hätte nach Arnheim erkundigen müssen, aber neugierig war, etwas von den Vorgängen zu erfahren, die ihn selbst angingen, und nicht gleich einen Ausweg fand. Schließlich fragte er: «Die Befreiung der Seele von der Zivilisation macht wohl Schwierigkeiten?» und fügte hinzu: «Ich darf mir leider schmeicheln, Ihnen schon lange vorhergesagt zu haben, daß ihre Bemühungen, dem Geist eine Gasse in die Welt zu bahnen, schmerzlich zusammenbrechen werden!»
Diotima erinnerte sich, wie sie aus der Gesellschaft geflohen war und mit Ulrich auf der Schuhbank im Vorzimmer gesessen hatte: ihre
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