Gesammelte Werke
Unterredung nicht allein der Belehrte bleiben wollte. «Die Parallelaktion erregt internationales Mißtrauen,» berichtete er «und ihre innerpolitische Wirkung, daß man sie sowohl für deutschfeindlich wie für slawenfeindlich hält, ist auch außenpolitisch zu spüren. Damit Sie aber ganz den Unterschied zwischen dilettantischem und fachmännischem Pazifismus verstehn, werde ich Ihnen etwas erklären: Österreich könnte auf mindestens dreißig Jahre jeden Krieg verhindern, wenn es der Entente cordiale beiträte! Und beim Regierungsjubiläum könnte es das natürlich mit einer unerhört schönen pazifistischen Gebärde tun und dabei Deutschland seiner Bruderliebe versichern, auf daß es ihm nachfolge oder nicht. Die Mehrheit unserer Nationalitäten würde begeistert sein. Wir könnten mit französischen und englischen billigen Krediten unsere Armee so stark machen, daß uns Deutschland nicht einschüchtern kann. Italien wären wir los. Frankreich könnte ohne uns nichts machen: Mit einem Wort, wir wären der Schlüssel zu Frieden und Krieg und machten das große politische Geschäft. Ich verrate Ihnen damit kein Geheimnis: das ist eine einfache diplomatische Rechnung, die jeder Handelsattaché anstellen kann. Warum läßt sie sich nicht ausführen? Imponderabilien des Hofs: Man kann dort Es Em so wenig ausstehn, daß man es unanständig fände, dem nachzugeben; Monarchien sind heute im Nachteil, weil sie mit Anständigkeit belastet sind! Sodann Imponderabilien des sogenannten öffentlichen Geistes: da bin ich bei der Parallelaktion. Warum erzieht sie nicht den öffentlichen Geist?! Warum bringt man ihm nicht eine sachliche Auffassung bei? Sehen Sie,» – aber hier verloren Tuzzis Darlegungen von ihrer Glaubwürdigkeit und machten eher den Eindruck verhehlter Mühsal – «dieser Arnheim macht mir ja wirklich Spaß mit seinem Schreiben! Das hat nicht er erfunden, und neulich, als ich spät eingeschlafen bin, habe ich Zeit gehabt, darüber ein wenig nachzudenken. Es hat immer Politiker gegeben, die Romane geschrieben oder Theaterstücke gemacht haben, zum Beispiel Clémenceau oder gar Disraeli; Bismarck nicht, aber Bismarck war ein Zerstörer. Und nun sehen Sie sich diese französischen Advokaten an, die heute am Ruder sind: Beneidenswert! Politische Plusmacher, aber beraten von einer ausgezeichneten Berufsdiplomatie, die ihnen die Richtlinien gibt, und alle haben sie irgendeinmal auf das ungenierteste Theaterstücke oder Romane geschrieben, zumindest in ihrer Jugend, und schreiben noch heute Bücher. Glauben Sie, daß diese Bücher etwas wert sind? Ich glaube nicht. Aber ich schwöre Ihnen, daß ich mir gestern abend gedacht habe: unserer eigenen Diplomatie geht etwas ab, weil sie nicht auch Bücher hervorbringt, und ich werde Ihnen sagen, warum: Erstens gilt es natürlich für einen Diplomaten geradeso wie für einen Sportsmann, daß er sein Wasser ausschwitzen muß. Und zweitens erhöht es die öffentliche Sicherheit. Wissen Sie, was das europäische Gleichgewicht ist? –»
Sie wurden durch Rachel unterbrochen, die mit der Meldung kam, daß Diotima Ulrich erwarte. Tuzzi ließ sich Hut und Mantel reichen. «Wenn Sie ein Patriot wären –»sagte er, indes er in die Ärmel schlüpfte, und Rachel den Mantel hielt.
«Was sollte ich dann tun?» fragte Ulrich und sah die schwarzen Augensterne Rachels an.
«Wenn Sie ein Patriot wären, würden Sie meine Frau oder Graf Leinsdorf ein wenig auf diese Schwierigkeiten aufmerksam machen. Ich kann das nicht, bei einem Ehemann wirkt das leicht als engherzig.»
«Aber mich nimmt hier ja doch niemand ernst» entgegnete Ulrich ruhig.
«Ach, sagen Sie das nicht!» rief Tuzzi lebhaft aus. «Man nimmt Sie nicht in der Weise ernst wie andere Menschen, aber schon lange Zeit haben alle große Angst vor Ihnen. Man befürchtet, daß Sie dem Leinsdorf einen ganz verrückten Rat geben könnten. Wissen Sie, was das europäische Gleichgewicht ist?!» forschte der Diplomat dringend.
«Ich denke: ungefähr wohl» meinte Ulrich.
«Dann ist Ihnen Glück zu wünschen!» entgegnete Tuzzi aufgebracht und unglücklich. «Wir Berufsdiplomaten wissen es alle nicht. Es ist das, was man nicht stören darf, damit nicht alle übereinander herfallen. Aber was man nicht stören darf, weiß keiner genau. Erinnern Sie sich doch so ein bißchen, was es rings um Sie in den letzten Jahren gegeben hat und gibt: Italienisch-türkischen Krieg, Poincaré in Moskau, Bagdadfrage, bewaffnete Intervention in
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