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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sie will. Unüberlegt, könnte man sagen; aber darum auch unabgekühlt! Wenn sie böse ist, sieht sie die Welt rubinrot!» Er lächelte freundlich und blickte sich unter den Leuten um, die mitfuhren. Böse Gedanken hatte jeder von ihnen, das war sicher, und jeder unterdrückte sie, und niemand nahm sie sich allzu übel: aber keiner hatte diese Gedanken außer sich, in einem Menschen, der ihnen die bezaubernde Unzugänglichkeit eines geträumten Erlebnisses gibt.
    Seit Ulrich seinen Brief nicht zu Ende geschrieben hatte, machte er sich nun zum erstenmal klar, daß er nicht mehr zu wählen habe, sondern sich schon in dem Zustand befinde, vor dem er noch zaudere. Nach seinen Gesetzen – er gestattete sich die überhebliche Doppelsinnigkeit, daß er sie heilig nannte – konnte Agathes Fehler nicht bereut, sondern nur durch Geschehnisse, die ihm folgten, gut -gemacht werden, was übrigens wohl auch dem ursprünglichen Sinn des Bereuens entsprach, das ja ein läuternd-feuriger und nicht ein beschädigter Zustand ist. Agathens unbequemen Gatten zu ent -schädigen oder schad- los zu halten, hätte nichts als Zurücknahme eines Schadens, also bloß jene doppelte und lähmende Negation bedeutet, aus der das gewöhnliche gute Verhalten besteht, das sich innerlich zu Null aufhebt. Was Hagauer geschehen sollte, wie eine schwebende Last «aufzuheben», war aber anderseits nur möglich, wenn man für ihn ein großes Gefühl aufbrachte, und daran ließ sich nicht ohne Schrecken denken. So konnte nach der Logik, in die sich Ulrich zu schicken suchte, bloß etwas anderes gutgemacht werden als der Schaden, und er war nicht einen Augenblick im Zweifel, daß dies sein und seiner Schwester ganzes Leben sein sollte. «Anmaßend gesprochen,» dachte er «heißt das: Saulus hat nicht jede einzelne Folge seiner früheren Sünden gutgemacht, sondern er ist Paulus geworden!» Gegen diese eigentümliche Logik wandten jedoch Gefühl und Überzeugung gewohnheitsmäßig ein, es wäre jedenfalls anständigerseits nur möglich, wenn man für ihn ein großes Gefühl aufbrachte, und daran ließ sich nicht ohne Schrecken denken. So konnte nach der Logik, in die sich Ulrich zu schicken suchte, bloß etwas anderes gutgemacht werden als der Schaden, und er war nicht einen Augenblick im Zweifel, daß dies sein und seiner Schwester ganzes Leben sein sollte. «Anmaßend gesprochen,» dachte er «heißt das: Saulus hat nicht jede einzelne Folge seiner früheren Sünden gutgemacht, sondern er ist Paulus geworden!» Gegen diese eigentümliche Logik wandten jedoch Gefühl und Überzeugung gewohnheitsmäßig ein, es wäre jedenfalls anständiger und täte späteren Aufschwüngen keinen Abbruch, stellte man vorerst die Rechnung mit dem Schwager glatt und sänne dann auf das neue Leben. Jene Sittlichkeit, die ihn so lockte, war ja überhaupt nicht dazu geschaffen, Geldgeschäfte zu ordnen und Gegensätze, die aus ihnen folgen. An der Grenze jenes anderen Lebens und des alltäglichen mußten darum unlösbare und widerspruchsvolle Fälle entstehn, die man wohl am besten gar nicht erst zu Grenzfällen werden ließ, sondern vorher auf die gewöhnliche, leidenschaftslose Weise der Anständigkeit aus der Welt schaffte. Aber da fühlte Ulrich nun doch wieder, daß man sich nicht an die gewöhnlichen Bedingungen der Güte halten dürfe, wenn man sich in den Bereich der unbedingten Güte vorwagen wolle. Die ihm auferlegte Aufgabe, den Schritt in das Neue hinein zu tun, schien keinen Abstrich zu dulden.
    Die letzte Schanze, die ihn noch verteidigte, war mit heftiger Abneigung dagegen besetzt, daß Vorstellungen wie Ich, Gefühl, Güte, andere Güte, Böse, von denen er großen Gebrauch gemacht hatte, so persönlich und zugleich so hoch-hinaus und luftdünn allgemein seien, wie es eigentlich nur den moralischen Erwägungen sehr viel jüngerer Menschen entspräche. Es erging ihm so, wie es gewiß auch manchem, der seine Geschichte verfolgt, ergehen wird, er griff ärgerlich einzelne Worte heraus und fragte sich etwa: «‹Herstellung und Ergebnisse von Gefühlen›? welch eine maschinelle, rationale, menschenunkundige Auffassung! ‹Moral das Problem eines Dauerzustandes, dem sich alle Einzelzustände unterordnen› und nichts sonst? welch eine Unmenschlichkeit!» Wenn man das mit den Augen eines vernünftigen Menschen ansah, erschien alles ungeheuer verkehrt. «Das Wesen der Moral beruht geradezu auf nichts anderem, als daß die wichtigen Gefühle immer die gleichen

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