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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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an denen sie schon vorbeigekommen war, hinter ihr drein schrien, und die anderen, die sie noch nicht besucht hatte, ihr entgegenschrien. Und der Zufall wollte es, oder die ansteckende Kraft der Erregung, daß auch der Nächste, ein freundlicher Alter, der gutmütige Witzchen zu den Besuchern gemacht hatte, als sie noch nebenan standen, in dem Augenblick, wo Clarisse an ihm vorbeieilte, aufsprang und zu schimpfen begann, mit unflätigen Worten, die einen widerlichen Schaum vor seinem Munde bildeten. Auch ihn faßten die Fäuste der Wärter wie schwere Stempel, die jeden Widerstand zermalmen.
    Aber der Zauberkünstler Friedenthal verstand seine Darbietungen noch zu steigern. Von den Begleitern ebenso wie beim Eintritt gesichert, verließen sie den Saal an seinem anderen Ende, und mit einemmal schien das Ohr in sanfte Stille zu tauchen. Sie befanden sich in einem sauberen, mit Linoleum belegten, freundlichen Gang und trafen auf sonntäglich aussehende Menschen und hübsche Kinder, die voll Vertrauen und Höflichkeit den Arzt grüßten. Es waren Besucher, die hier darauf warteten, zu ihren Angehörigen vorgelassen zu werden, und wieder war der Eindruck der gesunden Welt ein sehr befremdlicher; diese sich bescheiden und höflich verhaltenden Menschen in ihren besten Kleidern wirkten im ersten Augenblick wie Puppen oder sehr gut nachgemachte, künstliche Blumen. Friedenthal schritt aber rasch hindurch und kündigte seinen Freunden an, daß er sie nun in eine Versammlung von Mördern und ähnlich schwer verbrecherischen Irren führen wolle. Vorsicht und Mienen der Begleiter, als sie bald danach vor einem neuen Eisentor standen, verhießen denn auch Schlimmes. Sie traten in einen abgeschlossenen Hof, der von einer Galerie umzogen war und einem der modernen Kunstgärten glich, wo es viele Steine und wenig Pflanzen gibt. Wie ein Würfel aus Schweigen stand zunächst die leere Luft darin; erst nach einer Weile entdeckte man Menschen, die stumm an den Wänden saßen. Nahe dem Eingang kauerten idiotische Jungen, rotzig, unsauber und regungslos, als ob sie ein grotesker Bildhauereinfall an den Pfeilern des Tors angebracht hätte. Neben ihnen saß, als erster an der Wand und von den weiteren abgerückt, ein einfacher Mann, noch in seiner dunklen Sonntagskleidung, nur ohne Kragen; er mußte erst vor kurzem eingeliefert worden sein und war in seinem Nirgendhingehören unsagbar rührend. Clarisse stellte sich plötzlich den Schmerz vor, den sie Walter zufügen würde, wenn sie ihn verließe, und weinte beinahe darüber. Zum erstenmal geschah ihr das, aber sie kam rasch darüber hinweg, denn die andern, an denen sie vorbeigeführt wurde, machten bloß jenen Eindruck der schweigenden Gewöhnung, den man in Gefängnissen kennt; sie grüßten scheu und höflich und trugen kleine Bitten vor. Bloß einer von ihnen, ein junger Mensch, wurde aufdringlich und begann sich zu beschweren; Gott allein wußte, aus welcher Vergessenheit er auftauchte. Er verlangte vom Arzt, hinausgelassen zu werden und Auskunft, warum er hier wäre, und als. dieser ausweichend entgegnete, daß nicht er, sondern nur der Direktor darüber entscheide, ließ der Frager nicht nach; seine Bitten begannen sich wie eine immer rascher ablaufende Kette zu wiederholen, und allmählich kam der Ton des Bedrängens in seine Stimme, steigerte sich zur Drohung und schließlich zur tierhaft-wissenlosen Gefährdung. Als er so weit gekommen war, drückten ihn die Riesen auf die Bank nieder, und er kroch stumm wie ein Hund in sein Schweigen zurück, ohne Antwort erhalten zu haben. Clarisse kannte das nun schon, und es ging bloß in die allgemeine Aufregung ein, die sie fühlte.
    Sie hatte auch zu anderem keine Zeit, denn am Ende des Hofes war eine zweite Panzertür, und an diese pochten nun die Wärter. Das war etwas Neues, da sie bisher die Türen bloß mit Vorsicht, aber ohne Ankündigung geöffnet hatten. An dieses Tor schlugen sie dagegen viermal mit der Faust und lauschten auf die herausdringende Unruhe. «Auf dieses Zeichen müssen sich alle, die drinnen sind, an den Wänden aufstellen» erläuterte Friedenthal «oder auf die Bänke setzen, die an den Wänden entlanglaufen.» Und wirklich, als sich die Tür langsam, Grad für Grad, drehte, zeigte sich, daß alle, die vorher teils stumm, teils lärmend durcheinandergekreist waren, wie wohlgedrillte Sträflinge gehorcht hatten. Und trotzdem wandten die Wärter beim Eintritt noch solche Vorsicht an, daß Clarisse plötzlich Dr.

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