Gesammelte Werke
entspringt er, ein lächerlicher Bach ist er, ich hab ihn ja selbst dort gesehn; so wie bei uns die Kamp oder die Morava. Aber was haben die Schweizer aus ihm gemacht? Das Engadin! Das weltberühmte Engadin! Das Engad-Inn, meine Liebe!! Haben Sie schon je daran gedacht, daß dieses ganze Engadin vom Worte Inn kommt»! Dadrauf bin ich heute gekommen: Und wir mit unserer unerträglichen österreichischen Bescheidenheit machen natürlich nie was aus dem, was uns gehört!»
Nach diesem Gespräch berief Diotima in Eile die gewünschte Gesellschaft ein, teils, weil sie einsah, daß sie Sr. Erlaucht beipflichten müsse, teils weil sie fürchtete, ihren hohen Freund zum Äußersten zu treiben, wenn sie sich jetzt noch weigere.
Aber als sie es ihm versprach, sagte Leinsdorf: «Und ich bitte Sie, meine Verehrte, vergessen Sie diesmal nicht, auch die ... na, die X, die Sie ‹Drangsal› nennen – einzuladen; ihre Freundin, die Wayden, läßt mir wegen der Person schon wochenlang keine Ruh!»
Selbst das versprach Diotima, obwohl sie zu andern Zeiten in der Duldung ihrer Konkurrentin eine Pflichtverletzung gegen das Vaterland gesehen hätte.
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Ein großes Ereignis ist im Entstehen. Regierungsrat Meseritscher
Als die Zimmer von den Strahlen der Festbeleuchtung und der Gesellschaft erfüllt waren, bemerkte «man» nicht nur Se. Erlaucht neben anderen Spitzen der Aristokratie, für deren Erscheinen er gesorgt hatte, sondern auch Se. Exzellenz den Herrn Kriegsminister und in seinem Gefolge den durchgeistigten, etwas überarbeiteten Kopf des Generals Stumm von Bordwehr. Man bemerkte Paul Arnheim. (Einfach und am wirksamsten ohne Titel. Das Man hatte es sich ausdrücklich überlegt. Litotes nennt man das, kunstvolle Schlichtheit des Ausdrucks, wenn man sich sozusagen ein Nichts vom eigenen Leibe zieht, wie der König den Reif vom Finger, und es einem anderen ansteckt.) Dann bemerkte man alles Nennenswerte aus den Ministerien (der Minister für Unterricht und Kultur hatte sich bei Sr. Erlaucht im Herrenhaus persönlich vom Erscheinen entbunden, weil er am gleichen Tag zur Einweihung eines großen Altargitters nach Linz mußte.) Dann bemerkte man, daß die ausländischen Botschaften und Vertretungen eine «Elite» entsandt hätten. Dann «aus Industrie, Kunst und Wissenschaft» bekannte Namen, und eine alte Allegorie des Fleißes lag in dieser unabänderlichen Zusammenstellung dreier bürgerlichen Tätigkeiten, die sich von selbst der schreibenden Feder bemächtigte. Dann nahm und brachte diese gewandte Feder die Damen zur Kenntnis: Beige, Rosa, Kirsch, Creme ...; gestickt und geschlungen, dreimal gerafft oder unter der Taille fallend; und zwischen der Gräfin Adlitz und der Kommerzienrat Weghuber wurde die bekannte Frau Melanie Drangsal genannt, Witwe des weltberühmten Chirurgen, «selbst gewohnt, dem Geist auf liebenswürdige Weise in ihrem Haus eine Stätte zu bereiten». Endlich kam abgesondert am Ende dieser Abteilung auch noch Ulrich von Soundso mit Schwester, denn Man hatte geschwankt, ob es schreiben solle: «von dessen aufopfernder Tätigkeit im Dienste des hochgeistigen und vaterländisch so erfreulichen Unternehmens man weiß» oder gar: «ein coming man»; man hatte längst gehört, daß von diesem Günstling des Grafen Leinsdorf viele voraussetzten, er könnte seinen Gönner noch einmal zu einer großen Unüberlegtheit verleiten, und die Versuchung, sich beizeiten eingeweiht zu erweisen, war groß. Aber die tiefste Genugtuung des Wissenden ist immer das Schweigen gewesen, zumal wenn er vorsichtig ist; und dem verdankten Ulrich und Agathe eine blanke Stellung ihrer Namen als Nachzügler unmittelbar vor jenen Spitzen der Gesellschaft und des Geistes, die nicht mehr persönlich angeführt wurden, sondern bloß fürs Massengrab des «Alles, was Rang und Namen hat» bestimmt waren. Dort hinein kamen viele Menschen, darunter der bekannte Strafrechtslehrer Hofrat Professor Schwung, der als Teilnehmer einer ministeriellen Enquete vorübergehend in der Hauptstadt weilte, und diesmal noch der junge Dichter Friedel Feuermaul, denn obwohl es bekannt war, daß sein Geist diesen Abend ins Leben zu rufen geholfen habe, blieb streng zu unterscheiden, daß damit noch lange nicht jene Geltung festerer Art gewonnen sei, die Toiletten und Titeln zukommt. Leute wie Titular-Bankdirektor Leo Fischel mit Familie – die den Zutritt zu Diotima nach großen Anstrengungen und auf Gerdas Betreiben, ohne Ulrich zu bemühen, also nur
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