Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
sein soll!»
    «Hör ich gern!» antwortete Meseritscher. – Will man rasch und sicher berichten können, was es Neues gibt, so darf das Neue nicht allzu verschieden vom Alten sein, das man schon kennt. Auch das Genie macht davon keine Ausnahme, das heißt, das wirkliche und anerkannte, über dessen Bedeutung sich seine Zeit rasch einig ist. Anders das Genie, das nicht gleich jeder für ein solches hält! Das hat sozusagen etwas ganz und gar Ungeniales, aber nicht einmal das hat es für sich allein, so daß man sich in ihm in jeder Hinsicht irren kann. Für Regierungsrat Meseritscher gab es also einen festen Bestand an Genies, den er mit Liebe und Aufmerksamkeit versorgte, aber Neuaufnahmen vollzog er nicht gern. Je älter und erfahrener er wurde, desto mehr hatte sich sogar in ihm die Gewohnheit herausgebildet, daß er das aufstrebende künstlerische Genie, und vornehmlich das ihm beruflich nahestehende der Literatur, bloß für einen leichtfertigen Störungsversuch seiner Berichterstatteraufgabe ansah, und er haßte es mit seinem guten Herzen so lange, bis es für die Rubrik der Personalnachrichten reif war. So weit war Feuermaul aber damals noch lange nicht und sollte erst dahin gebracht werden. Regierungsrat Meseritscher war nicht ohneweiters damit einverstanden.
    «Man sagt, daß er ein großer Dichter sein soll» wiederholte Sektionschef Tuzzi unsicher, und Meseritscher erwiderte fest: «Wer sagt das»! Die Kritiker im Feuilleton sagen das! Was zählt das schon, Herr Sektionschef?!» fuhr er fort. «Die Sachverständigen sagen das. Was sind die Sachverständigen? Manche sagen das Gegenteil. Und man hat Beispiele, daß Sachverständige heute so und morgen anders sagen. Kommt es überhaupt auf sie an? Was wirklich ein Ruhm ist, muß schon bei den Unverständigen angelangt sein, dann ist er erst verläßlich! Wenn ich Ihnen sagen soll, was ich denke: Von einem bedeutenden Mann darf man nicht wissen, was er macht, außer daß er ankommt und abreist!»
    Er hatte sich schwermütig in Feuer geredet, und seine Augen hingen an Sektionschef Tuzzi. Dieser schwieg verzichtend. «Was ist eigentlich heute los, Herr Sektionschef?» fragte Meseritscher.
    Tuzzi zuckte lächelnd und zerstreut die Schultern. «Nichts. Eigentlich nichts. Ein bißl Ehrgeiz. Haben Sie schon einmal ein Buch von dem Feuermaul gelesen?»
    «Ich weiß, was darin steht: Friede, Freundschaft, Güte und so.»
    «Sie halten also nicht viel von ihm?» meinte Tuzzi.
    «Gott!» begann Meseritscher und wand sich. «Bin ich ein Sachverständiger? –» In diesem Augenblick steuerte aber Frau Drangsal auf die beiden los, und Tuzzi mußte ihr höflich einige Schritte entgegentun; diesen Augenblick benutzte Meseritscher, der in dem Graf Leinsdorf umgebenden Kreis eine Lücke erspähte, mit raschem Entschluß, und ohne sich noch einmal aufhalten zu lassen, warf er neben Sr. Erlaucht Anker. Graf Leinsdorf stand im Gespräch mit dem Minister und einigen anderen Herren, wandte sich aber, sobald Regierungsrat Meseritscher allen seine große Verehrung ausgesprochen hatte, sofort ein wenig ab und zog ihn zur Seite. «Meseritscher,» sagte Se. Erlaucht eindringlich «versprechen Sie mir, daß keine Mißverständnisse entstehn, die Herren bei den Zeitungen wissen ja nie, was sie schreiben sollen. Also: Am Stand der Dinge hat sich seit dem letztenmal nicht das geringste geändert. Vielleicht wird sich etwas ändern. Das wissen wir nicht. Vorderhand dürfen wir nicht gestört werden. Ich bitt Sie also, auch wenn Sie jemand von Ihren Kollegen fragt, ist der ganze heutige Abend nur eine häusliche Angelegenheit der Frau Sektionschef Tuzzi!»
    Meseritschers Augendeckel bestätigten langsam und besorgt, daß er die ausgegebene feldherrliche Disposition verstanden habe. Und da ein Vertrauen das andere wert ist, feuchteten sich seine Lippen mit dem Glanz, der eigentlich in die Augen gehört hätte, und er fragte: «Und was ist mit Feuermaul, Erlaucht, wenn es erlaubt ist, das zu wissen?» «Warum soll das nicht zu wissen erlaubt sein?» erwiderte Graf Leinsdorf erstaunt. «Gar nichts ist mit dem Feuermaul! Er ist halt eingeladen worden, weil die Baronin Wayden nicht früher Ruh gegeben hat. Was soll denn sonst sein? Wissen Sie vielleicht was?»
    Regierungsrat Meseritscher hatte der Angelegenheit Feuermaul bisher keine Bedeutung beimessen wollen, sie vielmehr bloß für eine der vielen gesellschaftlichen Rivalitäten gehalten, von denen er alle Tage erfuhr. Daß nun aber auch noch

Weitere Kostenlose Bücher