Gesammelte Werke
ein wirklicher Beamtentitel war. Darin, daß ihn Meseritscher trotzdem als erster und einziger erhielt, drückte sich also mehr aus als bloß die Höhe des Titels, ja sogar mehr als die tägliche Aufforderung, das, was hierzulande geschehe, nicht allzu ernst zu nehmen: durch den ungerechtfertigten Titel wurde dem unermüdlichen Chronisten seine nahe Zugehörigkeit zu Hof, Staat und Gesellschaft auf eine feine und bedächtige Weise bestätigt.
Meseritscher hatte auf viele Journalisten seiner Zeit vorbildlich gewirkt, und er war Vorstandsmitglied maßgeblicher Schriftstellervereine. Es ging auch die Sage, daß er sich eine Uniform mit einem Goldkragen hätte machen lassen, sie aber nur manchmal zu Hause anzöge. Aber es dürfte nicht wahr gewesen sein, denn im Grunde seines Wesens hatte Meseritscher immer gewisse Erinnerungen an das Schankgewerbe in Meseritsch bewahrt, und ein guter Schankwirt trinkt nicht selbst. Ein guter Schankwirt weiß auch die Geheimnisse aller seiner Gäste, aber er macht nicht von allem Gebrauch, was er weiß; er mengt sich niemals mit einer eigenen Ansicht in die Debatte, erzählt aber und merkt sich mit Behagen alles, was Tatsache, Anekdote oder Witz ist. Und so war Meseritscher, dem man auf allen Festen als dem anerkannten Berichterstatter der schönen Frauen und vornehmen Männer begegnete, für seine Person nie auch nur auf den Versuch gekommen, sich einen guten Schneider zu nehmen, er kannte alle Kulissengeheimnisse der Politik und betätigte sich nicht mit einer Zeile politisch, er wußte von allen Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit und verstand keine einzige. Es genügte ihm vollauf, all das vorhanden und gegenwärtig zu wissen. Er liebte ehrlich seine Zeit, und auch sie vergalt es ihm mit einer gewissen Liebe, weil er täglich von ihr berichtete, daß sie da sei.
Als er eintrat und Diotima ihn gewahrte, winkte sie ihn sofort zu sich heran. «Lieber Meseritscher,» sagte sie, so lieblich sie konnte «Sie werden die Rede, die Seine Erlaucht im Herrenhaus gehalten hat, doch nicht etwa für den Ausdruck unserer Gesinnung gehalten oder gar wörtlich genommen haben!?»
Seine Erlaucht hatte nämlich, zusammenhängend mit dem Ministersturz und gereizt durch seine Sorgen, im Herrenhaus nicht nur eine viel bemerkte Rede gehalten, in der er seinem Opfer vorwarf, daß es den aufbauenden wahren Geist der Hilfsbereitschaft und Strenge habe vermissen lassen, sondern hatte sich dabei von seinem Eifer auch zu allgemeinen Betrachtungen hinreißen lassen, die auf unaufgeklärte Weise in einer Würdigung der Wichtigkeit der Presse gipfelten, worin er dieser «zur Großmachtstellung aufgerückten Institution» ungefähr alles vorwarf, was ein ritterlich denkender, unabhängiger und unparteiischer christlicher Mann einem Institut vorwerfen kann, das nach seiner Meinung in keiner Weise so ist wie er. Das war es, was Diotima diplomatisch gutzumachen suchte, und während sie immer schönere und schwerer verständliche «Worte für die wahre Gesinnung des Grafen Leinsdorf fand, hörte ihr Meseritscher nachdenklich zu. Aber plötzlich legte er ihr die Hand auf den Arm und schnitt ihr großmütig das Wort ab: «Gnädige Frau, wo werden Sie sich darüber aufregen» sagte er zusammenfassend. «Seine Erlaucht ist doch unser guter Freund. Er hat groß übertrieben: warum soll er nicht als Kavalier?!» Und um ihr gleich sein ungetrübtes Verhältnis zu ihm zu beweisen, fügte er hinzu: «Ich geh jetzt zu ihm!»
So war Meseritscher! Aber ehe er sich auf den Weg machte, wandte er sich noch einmal vertraulich an Diotima: «Und was ist eigentlich mit Feuermaul, gnädige Frau?»
Diotima hob lächelnd die schönen Schultern. «Wirklich nichts Erschütterndes, lieber Regierungsrat. Wir wollen uns nicht nachsagen lassen, daß wir irgendjemand zurückweisen, der sich uns mit gutem Willen naht!»
«‹Guter Wille› ist gut!» dachte Meseritscher auf dem Weg zu Graf Leinsdorf; aber ehe er diesen erreichte, ja ehe er auch nur seinen Gedanken zu Ende gedacht hatte, dessen Ende er selbst gern gewußt hätte, stellte sich ihm freundlich der Hausherr in den Weg. «Lieber Meseritscher, die amtlichen Quellen haben wieder einmal versagt,» begann Sektionschef Tuzzi lächelnd «ich wende mich an die halbamtliche Berichterstattung: Können Sie mir etwas über den Feuermaul erzählen, der heute bei uns ist!»
«Was soll ich erzählen können, Herr Sektionschef?!» beklagte sich Meseritscher.
«Man sagt, daß er ein Genie
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