Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
dank der augenblicklich herrschenden Nachlässigkeit erreicht hatten – wurden überhaupt bloß in einem Augenwinkel verscharrt. Und nur die Gattin eines bekannten, in solcher Gesellschaft aber noch unter der Wahrnehmungsschwelle liegenden, Juristen, mit ihrem heimlichen, selbst dem Man unbekannten Namen Bonadea, wurde nachträglich wieder ausgegraben und unter die Toiletten versetzt, weil ihre Erscheinung allgemein auffiel und bewundernden Anklang fand.
    Dieses Man, die überwachende Neugierde der Öffentlichkeit, war natürlich ein Mensch; gewöhnlich sind es ja deren viele, in der Metropole Kakaniens überragte aber damals einer alle übrigen, und zwar war das Regierungsrat Meseritscher. Geboren in Wallachisch-Meseritsch, wovon sein Name Spuren behalten hatte, war dieser Herausgeber, Chefredakteur und Chefberichterstatter der von ihm gegründeten «Parlaments- und Gesellschaftskorrespondenz» in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als junger Mann in die Hauptstadt gekommen, der die Aussicht, den elterlichen Schnapsausschank in Wallachisch-Meseritsch zu übernehmen, für den Beruf des Journalisten hingab, angezogen von dem Glanz des damals in Hochglut strahlenden Liberalismus. Und alsbald hatte auch er das Seine zu dieser Ära beigetragen durch Gründung einer Korrespondenz, die mit der Versendung kleiner lokaler Nachrichten polizeilicher Art an die Zeitungen begann. Diese Urform seiner Korrespondenz erregte dank des Fleißes, der Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit ihres Besitzers nicht nur die Zufriedenheit der Zeitungen und der Polizei, sondern wurde in Bälde auch von anderen Hohen Behörden bemerkt, zur Unterbringung wünschenswerter Nachrichten, für die sie nicht selbst einstehen wollten, benutzt, schließlich bevorzugt und mit Material versehen, bis sie auf dem Gebiete der nichtamtlichen, aber aus amtlichen Quellen schöpfenden Berichterstattung eine Ausnahmestellung einnahm. Ein Mann voll Tatkraft und unermüdlichem Arbeitseifer, hatte Meseritscher, als er diesen Erfolg sich entwickeln sah, seine Tätigkeit aber auch schon um die Hof- und Gesellschaftsberichterstattung erweitert, ja wahrscheinlich wäre er niemals aus Meseritsch in die Hauptstadt gekommen, wenn ihm das nicht immer vorgeschwebt hätte. Lückenlose Präsenzlisten galten als seine Spezialität. Sein Gedächtnis für Personen und das, was man von ihnen erzählte, war außergewöhnlich und verschaffte ihm zum Salon leicht das gleiche ausgezeichnete Verhältnis wie zum Kriminal. Er kannte die Große Welt, wie sie sich selbst nicht kannte, und mit unerschöpflicher Liebe vermochte er die Leute, die sich in Gesellschaft trafen, am nächsten Tag miteinander bekannt zu machen, wie ein alter Kavalier, dem man seit Jahrzehnten alle Heiratspläne und Schneiderangelegenheiten anvertraut hat. So war schließlich bei Festen und Feiern der emsige, bewegliche, stets dienstbereite und gefällige kleine Herr eine stadtbekannte Figur, und in den späteren Jahren seines Lebens empfingen solche Veranstaltungen überhaupt erst durch ihn und sein Erscheinen ihre unanfechtbare Geltung.
    Ihre Höhe hatte diese Laufbahn mit der Ernennung Meseritschers zum Regierungsrat gefunden, denn an diesem Titel hing eine Besonderheit, die dazugehörte: Kakanien war ja das friedlichste Land der Welt, aber irgendwann hatte es in der tiefen Unschuld seiner Überzeugung, Kriege gebe es doch nicht mehr, den Einfall gehabt, seine Beamten in Rangklassen einzuteilen, die denen der Offiziere entsprachen, und hatte ihnen sogar ebensolche Uniformen und Abzeichen verliehn. Der Rang eines Regierungsrats entsprach seither dem eines kaiserlich und königlichen Oberstleutnants; aber wenn das auch an und für sich kein sehr hoher Rang war, so bestand seine Besonderheit, als er Meseritscher verliehen wurde, doch darin, daß dieser nach einer unverbrüchlichen Überlieferung, die, wie alles Unverbrüchliche, in Kakanien nur ausnahmsweise durchbrochen wurde, eigentlich Kaiserlicher Rat hätte werden müssen. Denn Kaiserlicher Rat war nicht etwa, wie man nach dem Gehalt des Worts urteilen sollte, mehr als Regierungsrat, sondern weniger; Kaiserlicher Rat entsprach nur dem Range eines Hauptmanns. Und Meseritscher hätte Kaiserlicher Rat werden müssen, weil dieser Titel außer an Kanzleibeamte nur an die Angehörigen freier Berufe verliehen wurde, also etwa an Hoffrisöre und Wagenfabrikanten, aus dem gleichen Grund aber auch an Schriftsteller und Künstler; wogegen Regierungsrat damals

Weitere Kostenlose Bücher