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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Graf Leinsdorf so energisch bestritt, sie besäße Wichtigkeit, erlaubte ihm nicht mehr, bei dieser Auffassung zu bleiben, und er war nun doch überzeugt, daß sich hier etwas Wichtiges vorbereite. «Was können sie vorhaben?» grübelte er, während er weiterwanderte, und ließ die kühnsten Möglichkeiten der inneren und äußeren Politik an sich vorüberziehn. Nach einer Weile dachte er aber kurz entschlossen: «Es wird schon nichts sein!» und Heß sich von seiner Berichterstattertätigkeit nicht länger ablenken. Denn so sehr es in Widerspruch mit dem Inhalt seines Lebens zu stehen schien: Meseritscher glaubte nicht an große Ereignisse, ja er liebte sie nicht. Wenn man überzeugt ist, daß man in einer sehr wichtigen, sehr schönen und sehr großen Zeit lebe, verträgt man nicht die Vorstellung, daß in ihr noch etwas besonders Wichtiges, Schönes und Großes geschehen könnte. Meseritscher war kein Alpinist, aber wäre er einer gewesen, so würde er gesagt haben, das sei so richtig wie die Tatsache, daß man Aussichtstürme ins Mittelgebirge setzt, und niemals auf Hochgebirgsgipfel. Da ihm solche Vergleiche fehlten, begnügte er sich mit einem Unbehagen und dem Vorsatz, Feuermaul dafür auf keinen Fall in seinem Bericht schon mit Namen zu erwähnen.
    [◁]
36
    Ein großes Ereignis ist im Entstehen. Wobei man Bekannte trifft
    Ulrich, der neben seiner Kusine gestanden hatte, während sie mit Meseritscher sprach, fragte sie, als sie einen Augenblick allein blieben: «Ich bin leider zu spät eingetroffen: wie war die erste Begegnung mit der Drangsal»»
    Diotima hob die schweren Augenwimpern für einen einzigen weltmüden Blick und ließ sie wieder sinken. «Natürlich reizend» sagte sie. «Sie hat mich aufgesucht. Wir werden heute irgend etwas vereinbaren. Es ist ja so gleichgültig!»
    «Sehen Sie!»sagte Ulrich. Es klang wie in alten Gesprächen; es schien deren Schlußstrich ziehen zu wollen.
    Diotima wandte den Kopf zur Seite und sah ihren Vetter fragend an.
    «Ich habe es Ihnen vorher gesagt. Schon ist alles beinahe vorbei und nicht gewesen» behauptete Ulrich. Er hatte ein Bedürfnis zu reden; als er nachmittags nach Hause gekommen war, war Agathe dagewesen und bald wieder fortgegangen; sie hatten nur wenige kurze Worte gewechselt, ehe sie hieherfuhren; Agathe hatte sich die Gärtnersfrau geholt und sich mit ihrer Hilfe angekleidet. «Ich habe Sie gewarnt!» sagte Ulrich.
    «Wovor gewarnt?» fragte Diotima langsam.
    «Ach, ich weiß nicht. Vor allem!»
    Es war die Wahrheit, er wußte selbst nicht mehr, wovor nicht. Vor ihren Ideen, vor ihrem Ehrgeiz, vor der Parallelaktion, vor der Liebe, vor dem Geist, vor dem Weltjahr, vor den Geschäften, vor ihrem Salon, vor ihren Leidenschaften; vor der Empfindsamkeit und vor dem nachlässigen Gewährenlassen, vor der Maßlosigkeit und vor der Korrektheit, vor dem Ehebruch wie vor der Heirat; es gab nichts, wovor er sie nicht gewarnt hatte: «So ist sie eben!» dachte er. Er empfand alles lächerlich, was sie tat, und doch war sie so schön, daß es traurig war. «Ich habe Sie gewarnt» wiederholte Ulrich. «Sie sollen jetzt ja nur noch Interesse für sexualwissenschaftliche Fragen haben!?»
    Diotima überging es. «Halten Sie diesen Liebling der Drangsal für begabt?» fragte sie.
    «Gewiß» erwiderte Ulrich. «Begabt, jung, unfertig. Sein Erfolg und diese Frau werden ihn verderben. Bei uns werden ja schon die Säuglinge verdorben, weil man ihnen sagt, daß sie fabelhafte Instinktmenschen seien, die durch eine intellektuelle Entwicklung nur verlieren könnten. Er hat manchmal schöne Einfälle, aber er kann nicht zehn Minuten warten, ohne einen Unsinn zu sagen.» Er näherte sich Diotimas Ohr. «Kennen Sie die Frau genauer?»
    Diotima schüttelte in einer kaum merklichen Weise den Kopf.
    «Sie ist gefährlich ehrgeizig» sagte Ulrich. «Aber sie sollte Sie bei Ihren neuen Studien interessieren: Dort, wo schöne Frauen früher ein Feigenblatt hatten, hat sie ein Lorbeerblatt! Ich hasse solche Frauen!»
    Diotima lachte nicht, sie lächelte nicht einmal; sie überließ bloß dem «Vetter» ihr Ohr. «Wie finden Sie ihn denn als Mann?» fragte er.
    «Traurig» flüsterte Diotima. «Wie ein Lämmchen, das vorzeitig die Fettsucht bekommen hat.»
    «Warum nicht! Die Schönheit des Mannes ist nur ein sekundäres Geschlechtsmerkmal» meinte Ulrich. «Primär erregend ist an ihm die Hoffnung auf seinen Erfolg. Feuermaul ist in zehn Jahren eine internationale Größe, dafür

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