Gesammelte Werke
werden die Verbindungen der Drangsal sorgen, und dann wird sie ihn heiraten. Wenn der Ruhm bei ihm bleibt, wird es eine glückliche Ehe werden.»
Diotima besann sich und verbesserte ernst: «Das Glück der Ehe hängt von Bedingungen ab, über die man nicht ohne disziplinierte Arbeit an sich selbst urteilen lernt!» Dann Heß sie ihn zurück, wie ein stolzes Schiff den Kai zurückläßt, an dem es gelegen hat. Ihre Aufgaben als Hausfrau führten sie fort, und sie nickte unmerklich, ohne ihn anzusehen, als sie die Taue löste. Aber sie meinte es nicht bös; im Gegenteil, Ulrichs Stimme war ihr wie eine alte Jugendmusik vorgekommen. Sie fragte sich sogar im stillen, zu welchen Ergebnissen eine liebeswissenschaftliche Beleuchtung seiner Person wohl führen könnte. Merkwürdigerweise hatte sie ihre eingehende Durchforschung dieser Fragen bisher noch nie mit ihm in Verbindung gesetzt.
Ulrich blickte auf, und durch eine Lücke in dem geselligen Treiben, eine Art optischen Kanals, dem vielleicht auch schon Diotimas Auge gefolgt war, ehe sie etwas unvermittelt ihren Platz verließ, gewahrte er im übernächsten Zimmer Paul Arnheim mit Feuermaul im Gespräch, und Frau Drangsal stand wohlwollend daneben. Sie hatte die beiden Männer zusammengebracht. Arnheim hielt die Hand mit der Zigarre erhoben, es sah wie eine unbewußte Abwehrbewegung aus, aber er lächelte sehr liebenswürdig; Feuermaul sprach lebhaft, hielt seine Zigarre mit zwei Fingern und sog zwischen den Sätzen mit der Gier eines Kalbes an ihr, das seine Schnauze gegen den mütterlichen Euter stößt. Ulrich konnte sich denken, was sie sprachen, aber er gab sich nicht die Mühe, es zu tun. Er blieb in glücklicher Verlassenheit stehn, und sein Auge suchte seine Schwester. Er entdeckte sie in einer Gruppe ihm ziemlich fremder Männer, und etwas kühl Gefrierendes rann durch seine Zerstreutheit. Da stieß ihm Stumm von Bordwehr eine Fingerspitze sanft zwischen die Rippen, und im gleichen Augenblick näherte sich auf der anderen Seite Hofrat Professor Schwung, wurde aber wenige Schritte vor ihm durch einen dazwischentretenden hauptstädtischen Kollegen aufgehalten.
«Daß ich dich endlich finde!» flüsterte der General erleichtert. «Der Minister möchte wissen, was ‹Richtbilder› sind.»
«Wieso Richtbilder?»
«Wieso weiß ich nicht. Also was sind Richtbilder?»
Ulrich definierte: «Ewige Wahrheiten, die weder wahr noch ewig sind, sondern für eine Zeit gelten, damit sie sich nach etwas richten kann. Das ist ein philosophischer und soziologischer Ausdruck und wird selten gebraucht.»
«Aha, das stimmt schon» meinte der General. «Der Arnheim hat nämlich behauptet: die Lehre, der Mensch ist gut, sei nur ein Richtbild. Der Feuermaul dagegen hat geantwortet: was Richtbilder seien, wisse er nicht, aber der Mensch sei gut, und das sei eine ewige Wahrheit! Darauf hat der Leinsdorf gesagt: ‹Das ist schon ganz richtig. Böse Menschen gibt es eigentlich überhaupt nicht, denn das Böse kann niemand wollen; das sind nur Irregeleitete. Die Leute sind heute eben nervös, weil in Zeiten wie den heutigen so viele Zweifler entstehn, die an nichts Festes glauben.› Ich habe mir gedacht, der hätte heute nachmittag mit uns sein sollen! Aber im übrigen meint er ja selbst auch, daß man die Leute, wenn sie nicht einsehen wollen, zwingen muß. Und da möchte der Minister jetzt eben wissen, was Richtbilder sind: Ich geh bloß schnell zu ihm zurück und bin gleich wieder da; du bleibst derweilen hier stehn, damit ich dich wiederfinde?! Ich muß nämlich dringend mit dir noch etwas anderes sprechen und dich dann zum Minister führen!»
Ehe Ulrich Aufklärung verlangen konnte, schob im Vorbeistreifen mit den Worten «Man hat Sie lange nicht bei uns gesehn!» Tuzzi die Hand in seinen Arm und fuhr fort: «Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen vorausgesagt habe, wir werden es mit einer Invasion des Pazifismus zu tun bekommen?!» Er blickte dabei auch dem General freundlich in die Augen, aber Stumm hatte es eilig und erwiderte bloß, daß er zwar als Offizier ein anderes Richtbild habe, jedoch gegen keine ehrenwerte Überzeugung ...: der Rest dieses Satzes entschwand mit ihm, denn er ärgerte sich jedesmal über Tuzzi, und das ist der Ausbildung der Gedanken nicht günstig.
Der Sektionschef blinzelte fröhlich hinter dem General drein und wandte sich dann wieder dem «Vetter» zu. «Die Öllagersache ist natürlich nur Spiegelfechterei» sagte er.
Ulrich sah ihn erstaunt
Weitere Kostenlose Bücher