Gesammelte Werke
unterbrach ihn zungenfertig: «Hamlet: ‹Seht Ihr die Wolke dort, beinah’ in Gestalt eines Kamels?› Polonius: ‹Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel.› Hamlet: ‹Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.› Polonius: ‹Sie hat: einen Rücken wie ein Wiesel.› Hamlet: ‹Oder wie ein Walfisch?› Polonius: ‹Ganz wie ein Walfisch!›» Sie brachte es so hervor, daß es ein Spottbild geflissentlicher Übereinstimmung war.
Ulrich begriff den Einwand, fuhr aber unbehindert fort: «Man sagt doch von einem Gleichnis auch, daß es ein Bild sei. Und ebenso gut ließe sich von jedem Bild sagen, daß es ein Gleichnis wäre. Aber keines ist eine Gleichheit. Und eben daraus, daß es einer nicht nach Gleichheit, sondern nach Gleichnishaftigkeit geordneten Welt angehört, läßt sich die große Stellvertretungskraft, die heftige Wirkung erklären, die gerade ganz dunklen und unähnlichen Nachbildungen zukommt und von der wir gesprochen haben!» Dieser Gedanke selbst wuchs durch sein Zwielicht, und er vollendete ihn nicht; die unmittelbare Erinnerung an das, was über Abbildungen gesprochen worden, verband sich darin mit dem Bild der Zwillinge und mit der erlebten bildschönen Erstarrung Agathes, die sich vor den Augen ihres Bruders wiederholt hatte, und dieses Gemenge wurde von fernher belebt durch die Erinnerung daran, wie oft solche Gespräche, wenn sie am schönsten waren und aus ganzer Seele kamen, selbst eine Neigung bekundeten, sich nur noch in Gleichnissen auszudrücken. Heute aber geschah das nicht, und Agathe traf nun wie ein Schütze die empfindliche Stelle, als sie ihren Bruder wieder mit einer Bemerkung störte. «Warum, in aller Welt, gehen denn deine Wünsche und Worte überhaupt nach einer Frau, die abenteuerlich genau deine zweite Ausgabe sein soll!» rief sie unschuldig verletzend aus. Trotzdem war ihr ein wenig bang vor der Erwiderung und sie schützte sich auch durch eine Wendung ins Allgemeine: «Kann man es denn verstehen, warum in aller Welt das Ideal aller Liebenden es ist, ein Wesen zu werden, ungeachtet diese Undankbaren fast allen Reiz der Liebe gerade dem verdanken, daß sie zwei Wesen und als Geschlecht verlockend ungleich sind?» Sie fügte scheinheilig, aber noch arglistiger zielend hinzu: «Sie sagen sogar manchmal zu einander, als wollten sie dir entgegenkommen: ‹du bist meine Puppe!›»
Ulrich nahm indessen den Spott hin. Er hielt ihn für gerecht, und es war schwierig, ihn durch eine neue Anpassung zu widerlegen. Es war in dem Augenblick auch nicht nötig. Denn obzwar die Geschwister sehr verschieden sprachen, waren sie doch einig. Von einer unbestimmten Grenze an fühlten sie sich als ein Wesen; so wie aus zwei Menschen, die vierhändig spielen oder zweistimmig laut eine Schrift lesen, die für ihr Heil wichtig ist, ein Wesen ersteht, dessen bewegter, hellerer Umriß sich ohne Deutlichkeit von einem Schattengrund abhebt. Wie in einem Traum schwebte es ihnen vor, zu einer Gestalt zu verschmelzen – ebenso unbegreiflich, überzeugend und leidenschaftsschön, wie es da geschieht, daß zwei Menschen nebeneinander vorkommen, und heimlich derselbe sind; und es war durch die in letzter Zeit hervorgetretene nachdenkliche Behandlung teils gestützt, teils gestört worden. Von diesen Überlegungen ließe sich sagen, daß es nicht unmöglich sein sollte, was der Wirkung des Gefühls im Schlaf gelingt, auch bei wachem Bewußtsein zu wiederholen; vielleicht mit Auslassungen, gewiß auf veränderte Art und durch andere Vorgänge, es könnte aber auch zu erwarten sein, daß es dann mit größerer Widerstandsfähigkeit gegen die auflösenden Einflüsse der wachen Welt geschieht. Sie sahen sich davon freilich weit genug entfernt, und sogar die Wahl der Mittel, die sie bevorzugten, unterschied sie von einander, insofern als Ulrich mehr zur Rechenschaft neigte und Agathe zum unbedacht gläubigen Entschluß.
Darum geschah es oft, daß scheinbar das Ende einer Aussprache weiter vom Ziel war als der Anfang, wie auch diesmal im Garten, wo die Zusammenkunft beinahe wie ein Versuch, nicht mehr zu atmen, begonnen hatte und einstweilen geradezu in Mutmaßungen über die Bauweise von verschiedenen gedachten Kartenhäusern übergegangen war. Im Grunde war es aber natürlich, daß sie sich verhindert fühlten, nach ihren allzu kühnen Gedanken zu handeln. Denn wie sollten sie etwas verwirklichen, das sie selbst als die lautere Unwirklichkeit planten, und wie sollte ihnen das Handeln in
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