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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Überlieferung hat aus dieser griechischen Selbstliebe, ihrer geistigen Leidenschaft unkundig, mehr oder minder das Wohlgefallen gemacht, womit ein Schulmeister die Schulzucht betrachten mag. Einer neurerischen Zeit – seit man wieder mehr der Leidenschaften, und vornehmlich der niederen bedächtig ist — mochte sie dem erziehlichen Verhältnis gleichzustellen sein, das zwischen dem auf glühenden Kohlen thronenden moralischen Ich und eben diesem niedrig schwelenden Bereich der Triebe bestehen soll; und auch das gefiel Ulrich nicht. Er hatte seine eigene Vermutung, und auch sie mochte leicht falsch sein; aber seit je war ihm die Verbindung des Gutseins gegen andere mit dem Gutsein gegen sich selbst — und zumal die dann auch kühnlich mögliche Beschreibung des guten Verhaltens gleich der einer Bewegung, die das Geliebte wie den Liebenden, das Gewollte wie das Wollende, kurz, das Gebende und das Empfangende von außen und innen erfaßt — als eine Gedankenverbindung vorgekommen, die nur einem Menschen hätte einfallen können, dem mystische Empfindungen nicht ganz fremd gewesen wären. Und weil es so ist, daß man festeren Boden unter den Füßen zu haben meint, wenn man die Fußstapfen eines Vorgängers erkennen kann, trennte er sich nicht alsbald von diesem Einfall, wodurch nach und nach einige Augenblicke heiter schmerzlichen Gedankenspiels, denen das Gespräch sein Entstehen verdankt hatte, einen Unterbau von Vorgeschichte erhielten, mit Einsprüchen und Unterbrechungen, die von Agathe kamen.
    «Warum denkst du an so alte Geschichten?» fragte sie anfangs, denn sie verband mit dem Namen zunächst bloß ein Mißtrauen, wie sie es gegen einen nebelgrauen, unendlich langen Bart gehabt hätte.
    «Kannst du dich des Fühlens entsinnen, das uns begleitet hat, während wir im Gespräch, eingehängt ineinander, hierher gingen?» erwiderte Ulrich. «Wenn du etwas gesagt hast, war mir im nächsten Augenblick zumute, als hätte meine Stimme es ausgesprochen. Wenn sich etwas in deiner Stimme änderte, änderten sich meine Gedanken. Und wenn du etwas gefühlt hast, so kamen sicher die Folgen in meinem Gefühl zum Vorschein.»
    Agathe lachte. «Ich glaube, du lügst jetzt, meine Selbstliebe! Soviel ich mich erinnere, habe ich dich manchmal nicht verstanden, und manchmal sind wir verschiedener Meinung gewesen!»
    «Sonst hätte ja auch bloß Übereinstimmung zwischen uns bestanden, und vielleicht noch Empfindsamkeit!» verteidigte sich Ulrich. «Es ist aber mehr als das gewesen. Eine besondere Art der gegenseitigen Ergänzung, wie zwei Spiegel einander dasselbe Bild zuwerfen, das immer inständiger wird. Und die Natur war genau so im Bunde wie wir selbst.»
    «Und das war Philautia?» fragte Agathe auf eine Art, die ihren Unglauben an solche Erwägungen ausdrückte.
    «Eben ja und nein.» Ulrich zögerte. «Es gibt da noch einen zweiten Begriff, und ich habe die beiden wohl vermengt. Der große Denklehrer hat auch den Gedanken ausgeführt, daß es Ursachen bestimmter Art gebe, die nicht wie andere in ihre Folgen übergehen, sondern die mit ihnen schon zum voraus verbunden sind, wie etwa ein Redner von dem beeinflußt wird, der ihm zuhört, also daß sie sich wechselseitig auch die ganze Zeit über beeinflussen. Eine Zielursache bestimmt die Geschehnisse, und gleichzeitig dienen diese dazu, sie zu entwickeln; und das findest du überall, wo Absichten, Wachstums- und Anpassungsvorgänge, gegenseitige Ausgestaltung, zweiseitige Wirkungen im Spiel sind, im lebendigen Geschehen also, und vornehmlich im zweckvollen und beseelten. Darum hat man zu Zeiten geglaubt, einen Gegenbegriff zu den kalten Beobachtungen der Naturwissenschaft daran zu haben, und auch heute spukt das wieder in manchen Köpfen. Aber entschuldige, daß ich dich mit solchen Erinnerungen unterhalte, die ich halb vergessen habe, und die wahrscheinlich niemals etwas ganz Fertiges und Klares bedeutet haben!»
    «Wenn es dich unvermeidlich dünkt!» rief Agathe getrost aus; halb zärtliche Dulderin, halb beglaubigend, daß dann auch sie es zu verstehen hoffe.
    «In die Beschreibung unseres kleinen Spaziergangs oder in die von dir und mir» fuhr Ulrich denn fort «hat sich also etwas eingemengt, das sehr unklar, aber sehr bekannt, und nichts weniger als eine Geheimlehre ist. Aber vielleicht habe ich es auch nicht zu Unrecht eingemengt. Denn das Ursprungserlebnis ist doch wohl dieser Zustand von Ich und Du und von Mensch und Natur, daß sie sich wiegen wie auf

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