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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Clarisse fort. «Ein schwacher, kleiner alter Mann mit blinzelnden Augen.» Und plötzlich lachte sie laut auf. «Er hat geträumt, daß ihn seine Frau betrügt, und hat sie nach dem Aufwachen am Morgen mit dem Stiefelknecht erschlagen!»
    Auch Stumm lachte. «Gleich als er aufgewacht ist mit dem Stiefelknecht? Das ist ausgezeichnet!» pflichtete er bei. «Der hat es offenbar eilig gehabt! Und die andern? «Warum sagen Sie, daß gerade nur er einen Kittel angehabt hat?»
    «Weil die andern schwarz waren. Sie sind stiller als die Toten gewesen» erwiderte Clarisse, von Ernst ergriffen.
    «Und scheinen überhaupt keine lustigen Menschen zu sein!» meinte Stumm.
    «Oh, erinnern Sie sich an den Nußknacker!» wandte Clarisse ein.
    Der General wußte im Augenblick nicht, wen sie meine.
    «An den mit den Nußknackerzähnen, der zu mir gesagt hat, daß Wien eine schöne Stadt sei!»
    «Und was haben die Diesmaligen zu Ihnen gesagt?» fragte der General lächelnd.
    «Ich habe doch schon erzählt, daß sie stumm waren!»
    «Aber Gnädigste,» entschuldigte sich Stumm «das nennt man doch nicht Tobsucht!?»
    «Sie haben eben erst auf ihre Anfälle gewartet!»
    «Wieso gewartet?! Es ist sonderbar, daß man auf einen Tobsuchtsanfall wartet wie auf einen inspizierenden Korpskommandanten. Und Sie sagen noch dazu, daß sie schwarz angezogen waren: also sozusagen eine Paradeadjustierung? Ich fürchte, Gnädigste, daß Sie da in diesem Augenblick falsch beobachtet haben müssen! Ich bitte untertänigst um Entschuldigung, aber ich pflege mir solche Dinge immer ganz genau vorzustellen!»
    Clarisse, der es gar nicht unangenehm war, daß Stumm auf Genauigkeit bestand, denn irgend etwas beschwerte auch sie durch eine Unverständlichkeit, gab zur Antwort: «Dr. Friedenthal hat es mir so erklärt, und ich kann Ihnen nur wiederholen, General, es war so. Drei Herren haben dort gewartet; und alle drei haben schwarze Anzüge angehabt, und ihre Haare und Bärte sind schwarz gewesen. Der eine war ein Arzt, der andere ein Rechtsanwalt, und der dritte ein reicher Kaufmann. Sie haben ausgesehn wie politische Märtyrer, die erschossen werden sollen.»
    «Warum haben sie so ausgesehn?» fragte der ungläubige Stumm.
    «Weil sie weder eine Krawatte noch einen Kragen umgebunden hatten.»
    «Vielleicht waren die Herren gerade erst eingeliefert worden?»
    «Aber nein, Friedenthal hat doch gesagt, daß sie schon lange in der Anstalt sind!» versicherte Clarisse, sich ereifernd. «Und trotzdem haben sie so ausgesehn, als könnten sie jeden Augenblick aufstehn und ins Büro gehn oder zu einem Patienten. Das ist ja gerade so sonderbar gewesen!»
    «Nun, mir kann es ja einerlei sein, gnädige Frau» erwiderte Stumm einlenkend, und doch mit einer Großartigkeit, die neu an ihm war, wobei er seine Stiefel unternehmend mit dem Reitstöckchen klopfte. «Ich habe schon Narren in Uniform gesehen und halte mehr Leute für verrückt, als man mir zutraut. Aber gerade ‹Toben› habe ich mir – lebhafter vorgestellt, auch wenn ich einräume, daß man von niemand verlangen kann, daß er ununterbrochen tobt. Und daß gleich alle drei so still gewesen sind –: es tut mir leid, daß ich nicht selbst dabei gewesen bin, denn diesen Doktor Friedenthal halte ich schon für fähig, daß er einem etwas vorschwindelt!»
    «Sie haben, wenn er gesprochen hat, ganz stumm aufgehorcht» berichtete Clarisse. «Man hätte überhaupt nicht bemerkt, daß sie krank sind, wenn man sie nicht gerade dort angetroffen hätte. Und denken Sie, als wir weggegangen sind, ist der, der Arzt war, aufgestanden und hat mir mit einer wirklich ritterlichen Gebärde den Vortritt angeboten und hat zu Friedenthal gesagt: ‹Doktor, Sie bringen so oft Besuch. Immer führen Sie Gäste herum. Heute komme ich auch einmal mit.› «
    «Und da haben sich natürlich diese Fleischerhunde, die Lackel von Aufsehern sofort –!»begann der General heftig, wenn er auch vielleicht mehr von der Tragödin als von der Tragödie gerührt war.
    «Nein, man hat ihn nicht angepackt» unterbrach Clarisse. «Man hat ihn wirklich mit Respekt daran gehindert, mir zu folgen. Und ich versichere Ihnen, gerade auf solche höfliche und schweigende Art ist alles erschütternd gewesen. So wie mit kostbarem schweren Tuch verhangen ist dort die Welt, und die Worte, die man sagen möchte, haben keinen Klang. Man kann sie schwer verstehn, diese Menschen! Man müßte selbst lange Zeit im Irrenhaus leben, um in ihre Welt eindringen zu

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