Gesammelte Werke
geglaubt, jetzt begänne es mit ihr: etwas Großes mit ganzer Seele zu tun! Aber sie wußte nicht was.
Sie fühlte nur, es stand ihr etwas nahe bevor. Sie fürchtete sich davor, und es verlangte sie nach dem Furchtbaren. In der Leere des Morgens schwebte es wie ein Kreuz über ihren Schultern. Aber eigentlich war es doch mehr ein tätiges Leid. Eine große Tat. Eine Verwandlung. Da war nun wieder diese beziehungsvolle Vorstellung. Die Gedanken daran und die Versuche, es sich vorzustellen, fuhren ihr kreuz und quer durch den Kopf. Auch die Schwalben hatten inzwischen begonnen, durch die Luft hin und her zu fahren.
Clarisse wurde plötzlich wieder heiter, ohne daß jedoch das Unheimliche ganz von ihr wich. Es kam ihr vor, daß sie sich sehr weit von ihrem Wohnhause entfernt habe. Sie kehrte um und unterwegs begann sie zu tanzen. Sie streckte die Arme waagrecht aus und hob die Knie. So legte sie den ganzen letzten Teil des Wegs zurück.
Aber ehe sie zuhause anlangte, traf sie bei einer Biegung des Pfads auf General von Stumm.
[◁]
62
General von Stumm und Clarisse
«Guten Morgen, Gnädigste! Wie geht’s denn?» rief der General schon aus der Entfernung.
«Sehr gut» erwiderte Clarisse mit strengem Gesicht und tonlos weicher Stimme.
Stumm war in Uniform, und seine runden Beinchen staken in Stiefeln und in feldfarbenen Reithosen mit roten Generalsstreifen. Im Ministerium gab er jetzt kriegerisch vor, daß er zuweilen vor dem Dienst Morgenritte unternehme; in Wahrheit lustwandelte er aber dann in Clarisses Gesellschaft auf den Feldrainen und Wiesen, die ihr Haus umgaben. Walter schlief um diese Stunde noch oder mußte sich in freudloser Eile um seine Kleider und das Frühstück kümmern, damit er nicht zu spät ins Büro komme; und wenn er durch die Fenster spähte, sah er voll Eifersucht die Sonne auf den Knöpfen und Farben einer Uniform blitzen, neben der gewöhnlich ein rotes oder blaues Sommerkleid vom Wind entfaltet wurde, wie es auf alten Bildern den Engelsgewändern vom Überschwang des Herabfahrens geschieht.
«Wollen wir zur Sprungschanze gehn?» fragte Stumm fröhlich. Die «Sprungschanze» war ein kleiner Steinbruch, zwischen Hügeln, der mit seinem Namen nicht das geringste zu tun hatte. Aber Stumm fand diese von Clarisse gewählte Bezeichnung «scharmant und dynamisch». «Als ob es Winter wäre!» rief er aus. «Jedesmal lache ich darüber. Und eine Schneeschanze möchten Gnädigste gewiß ‹Sommerhügel› nennen?»
Clarisse hatte es gern, daß er sie Gnädigste nannte, und war gleich einverstanden, mit ihm umzukehren, denn als sie sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war ihr die Gesellschaft des Generals angenehm. Zunächst, weil er immerhin ein General war; nicht «nichts» wie Ulrich und Meingast und Walter. Sodann, weil sie darauf gekommen war, daß es ein ganz eigentümlicher Zustand sei, immer einen Säbel bei sich zu haben, ein eigentümliches Verhältnis zur Welt, das den großen und furchtbaren Gefühlen entsprach, die sie oft beschäftigten. Ferner schätzte sie den gesprächigen von Stumm, weil sie unbewußt erkannte, daß er sie nicht, wie die anderen, in einer Weise begehrte, durch die sie, wenn sie nicht selbst dazu Lust hatte, entwürdigt wurde. «Es ist etwas seltsam Reines in ihm!» hatte sie darüber zu ihrem eifersüchtigen Gatten gesagt. Aber endlich brauchte sie auch einen Menschen, um sich auszusprechen, denn sie war von lauter Eingebungen bedrängt, die sie bei sich behalten mußte. Und sie fühlte, daß alles, was sie sagte und tat, gut war, wenn ihr der General zuhörte. «Gnädigste haben etwas, was Sie über alle Frauen hinaushebt, die ich näher zu kennen die Ehre hatte» pflegte er zu versichern. «Ich lerne geradezu bei Ihnen Energie, Soldatenmut und Überwindung der österreichischen Nachlässigkeit!» Er lächelte dazu, aber sie merkte nicht, daß er etwas davon nicht meine.
Ihren Hauptgesprächsstoff bildeten aber, wie es auch in der Liebe die Regel ist, ihre Erinnerungen an ihr gemeinsames großes Erlebnis, den Irrenhausbesuch, und so begann denn auch Clarisse diesmal dem General anzuvertraun, daß sie seither noch einmal dort gewesen sei.
«Mit wem denn?» fragte dieser, der es schon begrüßte, einer schrecklichen Aufgabe entronnen zu sein.
«Allein» sagte Clarisse.
«Sapristi!» rief Stumm aus und blieb stehn, obwohl sie erst wenige Schritte gegangen waren. «Wirklich allein? Sie lassen sich aber auch durch nichts gruseln! Und haben Sie noch etwas
Weitere Kostenlose Bücher