Gesammelte Werke
Besonderes gesehn?» fragte er neugierig.
«Das Mörderhaus» erwiderte Clarisse lächelnd.
Diese Bezeichnung hatte Dr. Friedenthal, der ein guter Regisseur war, gebraucht, als sie über das lautlose Moos unter den Bäumen des alten Parks auf eine Gruppe kleiner Gebäude zugegangen waren, aus denen ihnen merkwürdig regelmäßige fürchterliche Schreie entgegentönten. Und auch Friedenthal hatte gelächelt und hatte Clarisse erzählt, was Clarisse jetzt dem General erzählte, daß jeder Bewohner dieser Häusergruppe mindestens einen Menschen getötet hätte, manchmal aber deren mehrere.
«Und jetzt schreien sie, wo es zu spät ist!» sagte Stumm im Ton vorwurfsvoller Schickung in den Lauf der Welt.
Aber Clarisse würdigte seine Erwiderung nicht. Sie erinnerte sich, daß auch sie gefragt hatte, was die Schreie bedeuteten. Und Friedenthal hatte ihr zur Antwort gegeben, daß es Tobsuchtsanfälle seien; aber ganz leise und vorsichtig, als dürfe man nicht stören. Und zur gleichen Zeit waren auch rings um sie wieder die riesenhaften Wärter aufgetaucht, von denen die Panzertüren geöffnet wurden; und Clarisse wiederholte das, in die Stimmung zurückgeratend, wie ein aufregendes Theaterstück, indem auch sie das Wort «Tobsuchtsanfälle!» leise flüsterte und dem General bedeutsam in die Augen sah.
Sie wandte sich ab und ging einige Schritte voran, so daß Stumm beinahe laufen mußte, um sie einzuholen. Als er wieder an ihrer Seite war, fragte sie ihn, wie er über die neue Malerei denke, und ehe er noch seine Eindrücke sammeln konnte, überraschte sie ihn durch die Mitteilung, daß dieser Malerei ganz merkwürdig eine aus dem Geiste des Irrenhauses geborene Architektur entspreche: «Die Gebäude sind Würfel, und die Kranken wohnen also in ausgehöhlten Betonwürfeln» erläuterte sie. «Da ist ein Mittelgang, und links und rechts sind solche Zellen, und in jeder Zelle ist nichts als ein Mensch und um ihn der Raum. Sogar die Bank, worauf er sitzt, ist mit der Wand aus einem Stück gegossen. Allerdings sind alle Kanten sorgfältig abgerundet, damit er sich nicht wehtun kann» fügte sie genau hinzu, denn sie hatte alles das mit größter Aufmerksamkeit beobachtet.
Sie fand keine Worte für das, was sie eigentlich sagen wollte. Da sie ihr ganzes Leben lang von Kunst umgeben gewesen war und die Sorgen angehört hatte, die man sich um die Kunst macht, war diese Insel verhältnismäßig widerstandsfähig gegen die in ihrem Denken sonst herangewachsenen Veränderungen geblieben; und zumal weil ihre eigene künstlerische Betätigung nicht unmittelbarer Leidenschaft entsprang, sondern bloß ein Anhängsel ihres Ehrgeizes und eine Folge der Verhältnisse war, in denen sie lebte, hatte sich auf diesem Gebiet ihr Urteil trotz der Erkrankung ihrer Person, die in der letzten Zeit neue Fortschritte gemacht hatte, nicht mehr verschroben, als es in der Entwicklung der Kunst ohnehin von Zeit zu Zeit üblich ist. Darum konnte sie auch mit einer Vorstellung wie «Zweckarchitektur» oder «Aus der Aufgabe eines Irrenhauses hervorgegangene Bauweise» sehr wohl umgehen, und nur die Bevölkerung dieser gegenwartsnahen Wohnbauten mit Irren überraschte sie als ein neuer Begriff und kitzelte sie wie anbrennendes Räucherwerk in der Nase.
Aber Stumm von Bordwehr unterbrach sie mit der bescheidenen Bemerkung, er habe sich immer eingebildet, daß Tobsuchtszellen gepolstert sein müßten.
Clarisse wurde unsicher, denn vielleicht hatten die Zellen aus hellem Gummi bestanden, und so schnitt sie den Einwand ab. «Früher vielleicht,» sagte sie entschlossen «in der Zeit der Polstermöbel und Quastenvorhänge mögen auch die Tobsuchtszellen gepolstert gewesen sein. Aber heute, wo man sachlich und räumlich denkt, ist das ganz unmöglich. Die geistige Entwicklung macht eben auch vor Irrenhäusern nicht halt!»
Stumm wollte aber lieber etwas von den Tobsüchtigen erfahren, als sich bei der Frage aufzuhalten, welche Zusammenhänge zwischen ihnen und der Malerei und Architektur beständen, und so erwiderte er: «Hochinteressant! Aber jetzt bin ich wirklich gespannt, wie es in diesen modernen Räumen zugegangen ist?!»
«Sie werden überrascht sein» erzählte Clarisse: «So still wie auf einem Friedhof!»
«Interessant! Ich erinnere mich, daß es auch auf dem Hof mit den Mördern, die wir gemeinsam gesehen haben, einige Augenblicke so still gewesen ist!»
«Diesmal hat aber nur ein einziger Mann einen gestreiften Leinenkittel angehabt» fuhr
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