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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Beispiel Lösung und Spannung ein solcher sei (das hat den stattlichen Titel: singularistische und pluralistische Theorie); ob sich ein Gefühl verändern könne oder ob es, wenn es sich verändere, schon ein anderes Gefühl werde; ob ein Gefühl, soll es aus einer Folge von Gefühlen bestehn, sich zu diesen im Verhältnis des Art- zu seinen Gattungsbegriffen oder des Bewirkten zu seinen Ursachen befinde; ob die Zustände, die ein Gefühl durchläuft, angenommen, es selbst sei ein Zustand, Zustände eines Zustands seien oder verschiedene Zustände und damit also verschiedene Gefühle; ob ein Gefühl durch die von ihm hervorgerufenen Handlungen und Gedanken eine eigene Veränderung bewirken könne oder ob in dieser Rede vom ‹Wirken› eines Gefühls etwas so Uneigentliches und wenig wirklich Gemeintes liege, als werde gesagt, das Auswalzen eines Bleches ‹bewirke› dessen Verdünnung oder eine Ausbreitung der Wolken die Verschleierung des Himmels: in solchen Unterscheidungen hat die traditionelle Psychologie vieles geleistet, was nicht unterschätzt werden sollte. Freilich ließe sich dann auch fragen, ob die Liebe eine ‹Substanz› oder eine ‹Qualität› sei und was es in Ansehung ihrer mit der ‹Haecceität› und ‹Quiddität› auf sich habe; aber ist man je sicher, das nicht doch einmal noch fragen zu müssen?»
    «Alle solchen Fragen enthalten einen höchst nützlichen Ordnungssinn, obwohl er in Ansehung der unbefangenen Natur des Gefühls ein wenig lächerlich wirkt, und uns in Ansehung dessen, wie die Gefühle unser Handeln bestimmen, wenig zu helfen vermag. Dieser logisch-grammatikalische, wie eine Apotheke mit hunderten Lädchen und Aufschriften ausgestattete Ordnungssinn ist ein Rest der mittelalterlichen, aristotelisch-scholastischen Naturbetrachtung, deren großartige Logik nicht sowohl an den Erfahrungen, die man mit ihr gemacht hat, zuschanden geworden ist als vielmehr an denen, die man ohne sie gemacht hat. Es ist vornehmlich die Entfaltung der Naturwissenschaften daran schuld gewesen und die ihres neuen Verstandes, der die Frage, was logisch sein müsse, hinter die Frage zurückgesetzt hat, was wirklich sei; doch nicht weniger auch das Unglück, daß die Natur anscheinend bloß auf einen solchen Mangel an Philosophie gewartet hatte, um sich entdecken zu lassen, und mit einer Bereitschaft geantwortet hat, die beiweitem noch nicht zu Ende ist. Trotzdem ist es, so lange diese Entwicklung das neue philosophische Weltenei noch nicht hervorgebracht hat, auch heute noch nützlich, ihr gelegentlich von den Schalen des alten zu fressen zu geben, wie man es Hennen tut, die legen werden. Und das gilt besonders von der Psychologie des Gefühls. Denn sie ist in ihrer geschlossenen logischen Einkleidung schließlich vollkommen unfruchtbar gewesen, aber von den Gefühlspsychologien, die darauf gefolgt sind, ist nur zu sehr das Gegenteil wahr; denn sie sind in Ansehung dieses Verhältnisses zwischen logischem Gewand und Fruchtbarkeit, zumindest in den schönen Jahren der Jugend, nahezu Sansculottinen gewesen!»
    «Was habe ich mir aus diesen Anfängen zu allgemeinerem Nutz und Frommen ins Gedächtnis zu rufen? Vor allem das: Diese neuere Psychologie hat mit dem hilfsbereiten Mitleid begonnen, das die medizinische Fakultät immer für die philosophische übrig hat, und sie hat mit der älteren Gefühlspsychologie aufgeräumt, indem sie überhaupt aufgehört hat, von Gefühlen, und angefangen hat, naturwissenschaftlich von ‹Trieben›, ‹Triebhandlungen› und ‹Affekten› zu sprechen. (Nicht als ob die Rede vom Menschen als einem von seinen Trieben und Affekten beherrschten Wesen neu gewesen wäre, aber neue Medizin ist sie dadurch geworden, daß er fortan nur als das betrachtet werden sollte.)
    Der Vorzug bestand in der Aussicht, das höher beseelte menschliche Verhalten auf das allgemeine belebte zurückzuführen, das sich auf den naturgewaltigen Nötigungen des Hungers, des Geschlechts, der Verfolgtheit und anderer Grundzustände des Lebens aufbaut, denen die Seele angepaßt ist. Dadurch bestimmte Geschehensabläufe heißen ‹Triebhandlungen›, entstehen ohne Absicht und Überlegung, sobald sich ein Reiz der ihnen entsprechenden Reizgruppe geltend macht, und werden von allen Tieren der gleichen Art, oft auch von Tier und Mensch, ähnlich ausgeführt. Die persönlichen, aber nahezu unveränderlich erblichen Anlagen dazu heißen ‹Triebe›; und mit der Bezeichnung ‹Affekt› wird in diesem

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