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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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seinen Ursachen, Folgen oder dem begleitenden Gefolge zu gehören, nicht auf geradem Wege zu lösen. Ich werde an einer späteren Stelle darauf zurückkommen, denn ein solcher Zwiespalt pflegt einen Fehler der Fragestellung anzuzeigen; und es wird sich, wie ich meine, herausstellen, daß die Frage, ob Zustand oder Vorgang, eigentlich eine Scheinfrage ist, hinter der sich eine andere verbirgt. Dieser Möglichkeit zuliebe, über die ich nicht entscheiden kann, mag sie hervorgehoben bleiben.»
    «Ich fahre nun fort, der ursprünglichen Gefühlslehre zu folgen, die vier Haupthandlungen oder Grundzustände der Seele unterscheidet. Sie reicht auf die Antike zurück und wird vermutlich ein in Würden verbliebenes Seitenstück zu deren Meinung sein, daß die Welt der Körper aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde bestehe: Trotzdem wird noch heute oft von vier besonderen, nicht aufeinander zurückführbaren Klassen von Bewußtseinselementen gesprochen, und in der Klasse Gefühl nehmen dann gewöhnlich die beiden Gefühle ‹Lust› und ‹Unlust› eine Vorzugsstellung ein; denn sie gelten entweder als die einzigen oder gelten wenigstens als die einzigen mit nichts andrem vermengten Gefühle. In Wahrheit sind sie vielleicht überhaupt keine Gefühle, sondern nur eine Färbung und Tönung an diesen, in der sich der ursprüngliche Unterschied zwischen Anziehung und Flucht und wohl auch der Gegensatz zwischen Gelingen und Versagen und andere Gegensätze der ursprünglich so symmetrischen Führung des Lebens erhalten haben. Das gelingende Leben ist lustvoll: lange vor Nietzsche und unserer Zeit hat es schon Aristoteles gesagt. Und noch Kant hat gesagt: ‹Vergnügen ist das Gefühl der Beförderung, Schmerz das einer Hindernis des Lebens.› Und Spinoza hat Lust den ‹Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit› genannt. Sie ist immer in diesem etwas übertriebenen Ruf einer letzten Erklärung gestanden, die Lust (und nicht zuletzt bei denen, die sie der Täuschung verdächtigten!).
    Aber wahrlich zur Heiterkeit kann sich das bei nicht ganz großen, und doch verdächtig leidenschaftlichen Denkern steigern. Ich setze eine schöne Stelle aus einem zeitgenössischen Lehrbuch hierher, von der ich kein Wort vergessen möchte: ‹Was erscheint verschiedenartiger als zum Beispiel die Freude über eine elegant gelöste mathematische Aufgabe und die über ein gutes Mittagessen! Und doch sind diese beiden Freuden als reines Gefühl ein und dasselbe, nämlich Lust!› Auch eine Stelle aus einer Gerichtsentscheidung, die wahrhaftig erst vor wenigen Tagen gefällt worden ist, setze ich dazu: ‹Das Schmerzensgeld hat dem Zwecke zu dienen, dem Beschädigten die Möglichkeit zu geben, sich seinen gewohnten Verhältnissen entsprechende Lustgefühle zu verschaffen, die die durch die Verletzung und ihre Folgen ausgelösten Unlustgefühle aufwiegen. Auf den gegenständlichen Fall angewendet, ergibt sich also schon aus der beschränkten Auswahl der dem Lebensalter von zwei ein viertel Jahren entsprechenden Lustgefühle und der leichten Beschaffbarkeit der Mittel hiezu, daß das begehrte Schmerzensgeld zu hoch sei.› Die durchdringende Klarheit, die sich in diesen beiden Beispielen äußert, gestattet die ehrfürchtige Bemerkung, daß sich Lust und Unlust noch lange als das I und A der Gefühlslehre erhalten werden.»
    «Blicke ich mich weiter um, so sehe ich, daß diese Lust und Unlust sorgfältig abwägende Lehre unter ‹Mischgefühlen› die ‹Verbindung des Elements der Lust und Unlust mit den anderen Elementen des Bewußtseins› versteht und damit Trauer, Gelassenheit, Ärger und anderes meint, worauf Laien solchen Wert legen, daß sie gern mehr davon erführen als bloß einen Namen. ‹Allgemeine Gemütszustände› wie Lebhaftigkeit oder Niedergeschlagenheit, ‹darin Mischgefühle von gleicher Art vorwiegen›, heißt sie ‹Einheit einer Gefühlslage›. ‹Affekt› nennt sie eine Gefühlslage, die sich ‹heftig und plötzlich› einstellt, und eine überdies ‹chronische› nennt sie ‹Leidenschaft›. Sollten Theorien eine Moral haben, so wäre also die Moral dieser Lehre ungefähr mit den Worten auszusprechen: Mache anfangs kleine Schritte, so kannst du später große Sprünge machen!»
    «Aber in Unterscheidungen wie diesen: ob es bloß eine Lust und Unlust gebe oder vielleicht doch mehrere Lüste und Unlüste; ob es neben Lust und Unlust nicht auch noch andere Grundgegensätze gebe, und zum

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