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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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diese zu zerstören. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Liegt es daran, daß das Leben leicht wird, wenn man sich nicht um Gefühle kümmert, sondern sich bloß an sein Ziel hält; oder ist es ein mörderischer Genuß, mit den Gefühlen zu rechnen, statt unter ihnen zu leiden? Mir ist dabei, als fühlte ich dem Teufel nach, wie er in die Himmelsspeise des Lebens eine Faust voll Salz getan hat!»
    Der General war Feuer und Flamme. «Das habe ich dir doch schon im Anfang gesagt!» rief er aus. «Ich habe zwar nur von Lügen gesprochen, aber die echte hinterhältige Gesinnung ist in jeder ihrer Formen eine unheimlich anregende Sache! Sogar der Leinsdorf, zum Beispiel, hat jetzt wieder eine Vorliebe für die Realpolitik gefaßt und sagt: Realpolitik ist das Gegenteil von dem, was man tun möchte!»
    Ulrich fuhr fort: «Das Entscheidende ist, daß es Tuzzi früher verwirrt hat, was zwischen Diotima und Arnheim geredet worden ist; jetzt aber kann es ihn nur freuen, weil die Redseligkeit von Menschen, die ihre Gefühle nicht zu verschließen vermögen, einem Dritten immer allerhand Anhaltspunkte gibt. Er braucht es jetzt nicht mehr mit dem inneren Ohr anzuhören, was ihm niemals gelingen wollte, sondern nur noch mit dem äußeren; und das macht doch ungefähr den Unterschied aus, ob man eine ekelerregende Schlange schluckt oder erschlägt!»
    «Wie?» fragte Stumm.
    «Schluckt oder erschlägt!»
    «Nein! Das mit den Ohren!?»
    «Ich habe sagen wollen: er hat sich zu seinem Glück von der Innenseite des Gefühls an die Außenseite zurückbegeben. Aber das wäre dir vielleicht unverständlich geblieben, es ist bloß so eine Idee von mir.»
    «Nein, du hast es sehr gut gesagt!» versicherte Stumm. «Aber warum verwenden wir eigentlich andere als Beispiel? Diotima und Arnheim sind große Seelen, und das wird schon deshalb nie ordentlich klappen!» Sie schlenderten einen Gartenpfad entlang und waren noch nicht weit gekommen; der General blieb stehn: «Auch was mir passiert ist, ist nicht bloß eine Kommißgeschichte!» teilte er seinem bewunderten Freunde mit.
    Ulrich sah ein, daß er ihn nicht zu Wort habe kommen lassen, und entschuldigte sich. «Du bist also nicht über Tuzzi zu Fall gekommen?» fragte er höflich.
    «Ein General stolpert vielleicht über einen Zivil-Minister, aber nicht über einen Zivil-Sektionschef» berichtete Stumm stolz und sachlich. «Ich glaube, ich bin über eine Idee gestolpert!» Und so begann er seine Geschichte zu erzählen.
    [◁]
71
    Agathe stößt zu ihrem Mißvergnügen auf einen geschichtlichen Abriß der Gefühlspsychologie
    Währenddem war Agathe an eine neue Folge von Blättern geraten, worin die Aufzeichnungen ihres Bruders auf ganz andere Art weitergingen. Es schien, daß er es jetzt mit einemmal darauf abgesehen hätte, zu ermitteln, was ein Gefühl sei, und zwar dem Begriff nach und auf trockene Art. Er mußte sich auch allerhand ins Gedächtnis zurückgerufen oder es eigens zu seinem Zweck gelesen haben, denn die Papiere waren mit Vermerken bedeckt, die sich teils auf die Geschichte, teils auf die Zergliederung des Gefühlsbegriffes bezogen, und alles zusammen bildete eine Sammlung von Bruchstücken, deren innere Verbindung nicht gleich zu erkennen war.
    Einen Hinweis auf das, was ihn dazu bewogen haben mochte, fand Agathe zuerst daran, daß vor Beginn an den Rand das Wort «Sache des Gefühls!» geschrieben stand; denn sie entsann sich nun des Gesprächs, das sie und ihr Bruder darüber in der Wohnung ihrer Kusine geführt hatten, mit seinen tiefen, den Grund der Seele entblößenden Schwankungen. Und wollte man erfahren, was Sache des Gefühls sei, so mußte man sich wohl oder übel auch fragen, was Gefühl sei, das sah sie ein.
    Das diente ihr als Wegweiser, denn die Aufzeichnungen begannen damit, daß alles, was unter Menschen geschehe, seinen Ursprung entweder in Gefühlen oder in der Entbehrung von Gefühlen habe; unerachtet dessen wäre aber eine Antwort auf die Frage, was ein Gefühl sei, aus der ganzen unabsehbaren Literatur, die sich damit beschäftigt habe, nicht mit Sicherheit zu gewinnen, denn selbst die Leistungen aus letzter Zeit, die Ulrich wirklich für Fortschritte hielt, bedürften keines ganz geringen Maßes von freiwilligem Zutrauen. Soviel Agathe sehen konnte, hatte er die Psychoanalyse dabei außer Betracht gelassen, und sie wunderte sich anfangs darüber, denn wie alle literarisch angeregten Menschen hatte sie mehr von ihr sprechen hören als von der

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