Gesammelte Werke
ausbilden, vielleicht aber auch hinter anderem verschwinden lassen wird.»
«Die deutsche Sprache sagt: Zorn ist in mir, und sagt: Ich bin in Zorn. Sie sagt: ich bin zornig, ich fühle mich zornig, ich fühle Zorn. Sie sagt: Ich bin verliebt, und: Ich habe mich verliebt. Die Namen, die sie den Gefühlen gegeben hat, weisen sprachgeschichtlich wohl oft darauf zurück, daß sie vom Eindruck der Handlungen und durch das gefährliche oder in die Augen springende Verhalten zu ihnen bewogen worden ist; trotzdem spricht sie vom Gefühl bald als von einem Zustand, der verschiedene Vorgänge umschließt, bald als von einem Vorgang, der aus einer Reihe von Zuständen besteht; auch bezieht sie, wie die Beispiele zeigen, ohneweiters und bald so, bald anders die Vorstellungsbilder der Person und des Außen und Innen in ihre Ausdrucksweise ein; und im ganzen verfährt sie so launisch und unberechenbar, als hätte sie von Anfang an die deutsche Gefühlsverwirrung begründen wollen.
Diese Verschiedenartigkeit des sprachlichen Bildes unserer Gefühle, das aus eindringlichen, aber unvollkommenen Erfahrungen entstanden ist, spiegelt sich noch heute in der Ideenbildung der Wissenschaft wider; namentlich dann, wenn diese mehr der Breite als der Tiefe nach genommen wird. Es gibt Lehren der Psychologie, in denen das Ich als das Gewisseste und in jeder Seelenregung, vornehmlich aber im Gefühl Erfahrbare auftritt, wie es auch Lehren gibt, die es völlig weglassen und nur die Beziehungen zwischen den Äußerungen für erfahrbar ansehen und so beschreiben, als wären es Erscheinungen in einem Kraftfeld, dessen Ursprung außer Betracht bleibt. Es gibt also Ichpsychologien und Psychologien ohne Ich. Aber auch die anderen Unterschiede sind gelegentlich ausgestaltet worden, und so erscheint das Gefühl einmal als ein Vorgang, den die Beziehung eines Ich zur Außenwelt durchläuft, ein andermal als ein besonderer Fall und Zustand der Bezogenheit und so weiter, Unterscheidungen, die sich eben bei einer mehr begrifflichen Richtung der Wißbegierde, solange die Wahrheit nicht deutlich ist, leicht davorstellen.
Vieles bleibt hier noch der Meinung überlassen, auch wenn man sich sorgfältig bemüht, die Tatsachen von ihr zu unterscheiden. Es scheint uns klar zu sein, daß sich ein Gefühl nicht irgendwo in der Welt, sondern im Innern eines lebenden Wesens bildet, und daß ‹Ich› es bin, der fühlt oder in der Erregung sich selbst fühlt. Es geht deutlich etwas in mir vor, wenn ich fühle, und ich verändere auch meinen Zustand; und obwohl das Gefühl eine lebhaftere Beziehung zur Außenwelt herstellt als eine Sinnesempfindung, scheint es mir ‹innerlicher› zu sein als sie. Das ist die eine Gruppe der Eindrücke. Anderseits ist mit dem Gefühl aber auch eine Stellungnahme der ganzen Person verbunden, und das ist die andere Gruppe. Ich weiß vom Gefühl, im Unterschied von der Sinnesempfindung, daß es mehr als diese ‹mich ganz› angeht. Auch geschieht es nur auf dem Weg über die Person, daß ein Gefühl außen etwas bewirkt, sei es dadurch, daß diese handelt, sei es dadurch, daß sie die Welt anders zu sehen beginnt. Ja es ließe sich nicht einmal behaupten, daß ein Gefühl eine Veränderung im Innern einer Person sei, ohne hinzuzufügen, daß deren Beziehung zur Außenwelt dabei Veränderungen erfährt.»
«Vollzieht sich also das Werden und Sein eines Gefühls ‹in› uns oder an uns und mit uns? So komme ich wieder auf meine eigene Beschreibung zurück. Und wenn ich ihrer Unbefangenheit Glauben schenken darf, so bekräftigen die von ihr vorsichtig durchleuchteten Verhältnisse noch einmal das gleiche: Mein Gefühl bildet sich in mir und außer mir; es verändert sich von innen und von außen; es verändert die Welt unmittelbar von innen und tut es mittelbar, das heißt durch mein Verhalten, von außen; und es ist also, mag das auch unserem Vorurteil widersprechen, innen und außen zugleich, oder zumindest mit beidem so verschlungen, daß die Frage, was an einem Gefühl innen und was außen sei und was davon Ich und was Welt sei, fast allen Sinn einbüßt.
Das muß also doch wohl den Grundtatbestand abgeben und kann es auch ohneweiters tun, denn in maßvolleren Worten ausgedrückt, besagt es bloß, daß in jedem Fühlen etwas von einer doppelten Richtung erlebt wird, was ihm die Natur einer Durchgangserscheinung verleiht: nach innen, oder auf die Person zurück, und nach außen, oder zu dem Gegenstand hin, von dem es beschäftigt
Weitere Kostenlose Bücher