Gesammelte Werke
wird. Was hingegen Innen und Außen ist, und erst recht, was es bedeutet, zum Ich oder zur Welt zu gehören, das also, was am Ende dieser beiden Richtungen steht und darum ihre Erscheinung erst ganz verstehen ließe: das wird natürlich nicht schon im ersten Erleben klar erfaßt und ist von Ursprung nicht deutlicher als alles andere, was man erlebt, und weiß nicht wie, und ein wirklicher Begriff davon bildet sich erst durch fortdauernde Erfahrung und Erforschung aus.
Darum wird eine Psychologie, die Wert darauflegt, eine wirkliche Erfahrungswissenschaft zu sein, auch nicht anders, als sie mit den Begriffen des Zustands und Vorgangs verfährt, diese Begriffe behandeln, und die nah verwandten Gedanken der Person, der Seele und des Ichs, aber auch schon die vollen Vorstellungen des Innen und Außen werden ihr als etwas erscheinen, das zu erklären ist, und nicht als etwas, mit dessen Hilfe man ohne weiters anderes erklärt.»
«Merkwürdig gut stimmt damit auch eine Alltagswahrheit der Psychologie überein, denn wir setzen gewöhnlich, ohne viel zu überlegen, voraus, daß einer, der sich so zeigt, wie es einem bestimmten Gefühl entspricht, auch wirklich so fühle. Es geschieht also nicht selten, vielleicht sogar sehr oft, daß ein äußeres Verhalten mitsamt den Gefühlen, die es einschließt, unmittelbar und ungeteilt und mit großer Sicherheit erfaßt wird.
«Wir erleben, ob die Gesinnung eines Wesens, das sich uns nähert, freundlich oder gefährlich sei, zuerst unmittelbar am Ganzen, und die Überlegung, ob es auch richtig sei, kommt bestenfalls nachher. Es nähert sich uns im ersten Eindruck auch nicht etwas, das sich vielleicht als fürchterlich erweisen könnte, sondern die Fürchterlichkeit selbst kommt uns nahe, möge es sich immerhin einen Augenblick später schon als Täuschung herausstellen. Und gelingt es uns, den unmittelbaren Eindruck wieder herzustellen, so läßt sich diese scheinbare Umkehrung einer vernünftigen Reihenfolge auch an Erlebnissen wahrnehmen wie dem, daß etwas schön und entzückend oder beschämend oder ekelerregend sei.
Das hat sich sogar in einem doppelten Sprachgebrauch erhalten, der gang und gäbe ist; denn wir sagen sowohl, daß wir etwas für schrecklich, lieblich und anderes hielten, und betonen damit, daß die Gefühle von der Person abhängen, als wir auch sagen, daß etwas schrecklich, lieblich und anderes sei, und von dem Schrecklichen und dem Lieblichen sprechen, womit wir betonen, daß der Ursprung unserer Gefühle wie eine Eigenschaft in den Dingen und Geschehnissen wurzle. Diese Zweiseitigkeit, ja amphibische Zweideutigkeit der Gefühle unterstützt den Gedanken, daß sie nicht nur im Innern, sondern auch in der äußeren Welt zu beobachten sind.»
Mit diesen letzten Bemerkungen war Ulrich aber schon bei der dritten Antwort auf die Frage, wie der Begriff des Gefühls zu bestimmen sei, angelangt, oder zurückhaltender gesagt, bei der heute vorherrschenden Auffassung dieser Frage.
[◁]
74
Fühlen und Verhalten Die Unsicherheit des Gefühls
«Die Schule der theoretischen Psychologie, die gegenwärtig am erfolgreichsten ist, behandelt das Gefühl und die Gefühlshandlung als eine unlösliche Gemeinschaft. Was wir handelnd fühlen, ist für sie die eine, und wie wir fühlend handeln, die andere Seite ein und desselben Vorgangs. Sie untersucht beide gemeinsam. Für Lehren, die dieser Gruppe angehören, ist das Gefühl – mit Worten ausgedrückt, die sie selbst gebrauchen – ein inneres und äußeres Verhalten, Geschehen und Handeln; und weil sich diese Zusammenfassung von Gefühl und Verhalten sehr gut bewährt hat, ist die Frage, wie sie schließlich wieder zu trennen und von einander zu unterscheiden seien, vorläufig fast nebensächlich geworden: Darum gibt es statt einer Antwort darauf ein ganzes Bündel, und dieses ist etwas unordentlich.»
«Manchmal heißt es, das Gefühl sei schlechthin ein und dasselbe wie die äußeren und inneren Geschehnisse, gewöhnlich aber bloß, diese seien ihm gleichzuhalten. Manchmal wird es in einem etwas undeutlichen Sinne als ‹der Gesamtvorgang›, manchmal bloß als das innere Handeln, Verhalten, Ablaufen und Geschehen angesprochen. Manchmal scheint es auch, daß nebeneinander zwei Begriffe des Gefühls in Gebrauch stehen; wobei dieses im weiteren Sinn das ‹Ganze›, im engeren Sinn aber ein Teilergebnis wäre, das auf eine nicht recht einleuchtende Art dem Ganzen seinen Namen, ja seine Natur aufprägt. Und manchmal
Weitere Kostenlose Bücher