Gesammelte Werke
zutraulich in das kommende Nichts Hineinstreben, das sich einstellt, wenn der Körper durch eine Krankheit schwer verletzt wird, ohne daß sich die Sinne trüben. Sie hatte Vertrauen in den Tod. Vielleicht ist er nicht so schlimm, dachte sie. Es ist schließlich doch immer etwas Natürliches und Angenehmes aufzuhören; bei allem, was man tut. Die Verwesung aber, und was es da sonst noch Gräßliches gibt; du lieber Himmel, ist man es nicht gewohnt, daß mit einem allerhand geschieht, während man gar nichts damit zu tun hat?! «Weißt du, Ulrich,» schloß sie das Gespräch ab «du bist so: wenn man dir Blätter und Äste gibt, du nähst sie immer wieder zu einem Baum zusammen; ich aber möchte einmal versuchen, was daraus wird, wenn wir zum Beispiel die Blätter an uns festnähen?»
Und doch fühlte auch Ulrich: sie hatten nichts anderes zu tun, als beisammen zu sein. Wenn Agathe durch die Zimmer rief: «Laß das Licht noch brennen!» ein Ruf, schnell, ehe Ulrich im Hinausgehen das Zimmer verfinsterte, in das Agathe noch einmal zurückkehren wollte, so dachte Ulrich: «eine Bitte, eilig, was weiter? Ach, was weiter? Nicht weniger, wie wenn Buddha einer Elektrischen nachlaufen würde, um noch mitzukommen! Eine unmögliche Gangart. Ein Zusammenbruch des Wahnwitzes. Aber trotzdem, wie schön war Agathes Stimme! Welches Vertrauen lag in der kurzen Bitte, welches Glück, daß ein Mensch dem anderen so etwas zurufen darf, ohne mißverstanden zu werden. Gewiß war solch ein Augenblick wie ein Stück irdischen Fadens mitten zwischen geheimnisvollen Blumen, aber er war zugleich rührend wie ein Wollfaden, den man einer Geliebten um den Hals legt, wenn man nichts anderes ihr mitzugeben hat. Und wenn sie dann auf die Straße traten und, nebeneinander gehend, nicht viel von einander sehen konnten, nur die zarte Kraft ungewollter Berührung fühlten, so gehörten sie wie ein Ding zusammen, das in einem weiten Raum steht. Es liegt in der Natur solcher Erlebnisse, daß sie zum Erzählen hin drängen. Sie enthalten in der geringsten Menge von Geschehen ein Äußerstes an inneren Vorgängen, das sich Bahn ins Freie schaffen muß. –––––––– Es läßt sich mit dem merkwürdigen Vorgang vergleichen, durch den man in der Jugend geistige Einflüsse aufnimmt; man nimmt da auch nicht jede beliebige Wahrheit in sich auf, sondern eigentlich nur solche, der aus dem eigenen Innern etwas entgegenkommt, die also in einem gewissen Sinn nur erweckt wird, so daß man sie in dem Augenblick schon kennt, wo man sie kennen lernt. Es gibt in dieser Zeit Wahrheiten, die für uns bestimmt sind, und solche, die es nicht sind; Erkenntnisse sind heute wahr und morgen falsch, Gedanken leuchten auf oder verlöschen, – nicht weil wir unsere Meinung ändern, sondern weil wir mit unseren Gedanken noch durch unser ganzes Leben zusammenhängen und, von den gleichen unsichtbaren Quellen gespeist, uns mit ihnen heben und senken. Sie sind wahr, wenn wir uns in dem Augenblick, wo wir denken, steigen fühlen, und sie sind falsch, wenn wir uns fallen fühlen. Es gibt etwas Unausdrückbares in uns und der Welt, das dabei gemehrt oder gemindert wird. In späteren Jahren ändert sich das; die Gefühlslagerung wird unveränderlicher, und der Verstand wird zu jenem außerordentlich beweglichen, festen, unzerbrechlichen Werkzeug, als das wir ihn kennen, wenn wir uns von keinerlei Gefühl beeinflussen lassen. In diesem Zeitpunkt hat sich dann die Welt schon geteilt; auf der einen Seite in die der Dinge und verläßlichen Empfindungen von ihnen, der Urteile und, so auch zu sagen, anerkannten Gefühle oder Willen; auf der anderen Seite in die der Subjektivität, das heißt der Willkür, des Glaubens, des Geschmacks, der Ahnung, der Vorurteile und aller jener Unsicherheiten, zu denen sich zu verhalten, wie sie mag, eine Art Privatrecht der Person bildet, ohne öffentlichen Anspruch. Wenn das geschehen ist, mag die persönliche Betriebsamkeit alles oder nichts ausschnüffeln und in sich aufnehmen, selten geschieht es in der hartgebrannten Seele, daß sich in der Glut des Eindrucks auch die Wände noch dehnen und bewegen.
Aber erlaubt dieses Verhalten wirklich, sich so sicher in der Welt zu fühlen, wie es das glauben macht? Schwebt nicht die ganze feste Welt, mit allen unseren Empfindungen, Häusern, Landschaften, Taten auf unzähligen kleinen Wölkchen? Unter jeder Wahrnehmung ist Musik, Gedicht, Gefühl. Aber es ist gefesselt, unveränderlich gemacht,
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