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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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berühren, sondern was ich tue, muß etwas sein und an diesem geistigen Vorgang (Sein) hat er teil wie ein Darsteller, der einer Idee seinen Körper leiht. Das ist lächerlich? Nein, das ist nichts anderes als festlich. Denn das ist der Sinn heiliger Zeremonien, wo jede Gebärde ihre Bedeutung hat. Das ist der Sinn aller Dinge, wenn sie am Morgen mit der Sonne zum erstenmal wieder unseren Augen heraufkommen. Nein, das Ding ist uns nicht Mittel. Es ist eine Einzelheit, der kleine Nagel, ein Lächeln, ein krauses Haar an unserer dritten Schwester. Ich und du sind ja auch nur Dinge. Aber wir sind Dinge, die miteinander in Signalaustausch stehn, und das gibt uns das Wunderbare; es fließt etwas zwischen uns hin und her, ich kann dein Auge nicht ansehn wie einen toten Gegenstand, wir brennen an zwei Enden. Aber wenn ich dir zuliebe handeln will, ist auch das Ding kein toter Gegenstand. Ich liebe es, das heißt, zwischen mir und ihm geht etwas vor, und ich will nicht übertreiben, ich will keineswegs behaupten, daß das Ding lebt wie ich (und fühlt und mit mir spricht), aber es lebt mit mir, wir stehen immer in Beziehung zueinander.
    Ich habe gesagt, wir sind Schwestern. Du hast nichts dagegen, daß ich die Welt liebe, aber ich muß sie lieben wie eine Schwester, nicht wie einen Mann, oder wie ein Mann eine Frau. Ein wenig empfindsam; du und sie und ich machen einander Geschenke. Ich nehme nichts fort von der Zärtlichkeit, die ich dir schenke, wenn ich auch der Welt schenke; im Gegenteil, jede Verschwendung vermehrt unseren Reichtum. Wir wissen, daß wir jeder unsere getrennten Beziehungen zueinander haben, die man nicht einmal ganz offenbaren könnte, wenn man wollte, aber diese Geheimnisse erregen keine Eifersucht. (So leben Schwestern miteinander.) Eifersucht setzt voraus, daß man aus der Liebe einen Besitz machen will. Aber ich darf im Gras liegen, an den Schoß der Erde gepreßt, und du wirst die Süße dieses Augenblicks mitempfinden. Nur wie ein Künstler darf ich die Erde nicht betrachten oder wie ein Forscher: da mache ich sie mir zu eigen, und wir bilden ein Paar, das dich als dritten ausschließt.
    Was unterscheidet denn eigentlich im gewöhnlichen Leben noch den primitivsten Liebesaffekt vom nur sexuellen Begehren? Dem Vergewaltigenwollen ist ein Scheuen, ist Zartheit beigemengt, fast möchte man sagen, dem Maskulinen etwas Feminines. Und so ist es mit allen Gefühlen; sie sind eigenartig entkernt und vergrößert.
    Moral? Moral ist eine Beleidigung, in einem Zustand, wo jede Bewegung ihre Rechtfertigung darin findet, daß sie zu seiner Ehre beiträgt (Gott).
    Die kardinale Sünde in diesem Paradies, man könnte sie verschieden nennen: haben, wollen, besitzen, wissen. Darum herum schließen sich die kleineren Sünden, neiden, gekränkt sein [–––––].
    Sie kommen alle davon, daß man sich und das andere in eine ausschließliche Beziehung bringen will. Daß das Ich sich durchsetzen will, wie ein Kristall, der sich aus einer Flüssigkeit loslöst. Nun ist da ein Mittelpunkt, und ringsumher bilden sich auch lauter Mittelpunkte.
    Sind wir aber Schwestern, so willst du nicht den Mann, kein Ding, keinen Gedanken als deinen. Du sagst nicht: Ich sage. Denn alles wird von allen gesagt. Du sagst nicht: Ich liebe. Denn unser aller Geliebte ist die Liebe, und wenn sie dich umarmt, lächelt sie mir zu ...
    [◁]
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    Schuß als Heilmittel gegen Selbstmordideen
    [Früher Entwurf]
    Es kamen auch gewaltige Auflehnungen.
    Agathe besaß ein Klavier. Sie saß in der Dämmerung daran und spielte. Die Ungewißheit ihres Zustandes spielte mit den Tönen. Ulrich trat ein. Seine Stimme klang kalt und stumm, während er Agathe begrüßte. Sie unterbrach das Spiel. Als die Worte verklungen waren, gingen ihre Finger ein paar Schritte weiter durch das grenzenlose Land der Musik.
    «Bleib sitzen!» befahl Ulrich, der zurückgetreten war, und zog eine Pistole aus der Tasche. «Es geschieht dir nichts.» Ganz verändert sprach er, ein fremder Mensch. Nun schlug er auf das Klavier an und schoß in die Mitte der langen schwarzen Flanke. Die Kugel durchschnitt das trockene, zarte Holz und heulte über die Saiten. Eine zweite wühlte springende Töne auf. Die Tasten begannen zu hüpfen, wie Schuß auf Schuß folgte. Der jubelnd scharfe Knall der Pistole fuhr immer rasender in einen splitternden, kreischenden, reißenden, dröhnenden und singenden Aufruhr. Als das Magazin ausgeschossen war, ließ Ulrich es auf den Teppich fallen und

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