Gesammelte Werke
auch die Rasse des Genies innerhalb der der Dummheit ... Das ist auch: Gegen die Totallösung und System. Gegen den Gemeinschaftssinn. Abenteuer der Lebensverweigerung. Ohne daß aber auf die Theorie eingegangen werden sollte.
Nach dem Ausbruch gesteht er dann zu: «anderer Zustand» (Ahnen) und Gott, wenn auch als zweifelhaft. Seine eigentliche Rechtfertigung ist Angst vor drei Schwestern-Süße und darum beschließen sie auch fortzugehn ––––––– Agathe verlangt Entscheidung im Sinne der Jugend. Ulrich: Ich habe beschlossen. Selbstmordjahr. Agathe: Die Mystik, die sich nicht an Religion schließen konnte, schließt sich an Ulrich.
Entscheidung zu: Werkzeug eines unbekannten Zweckes.
Agathe: Eigentlich gibt es kein Gut und Bös, sondern nur Glaube oder Zweifel. Gehn wir von all dem fort. Ohne Glaube der Ahnung überlassen ... Ulrich weigert sich zu glauben, folgt aber dem Ahnen.
Agathes Depression: Ein Hauptargument: Der Rechtsanwalt hat vorgeschlagen, sie solle sich krank erklären lassen. Sie hat das Testament wegen Ulrich gemacht und nun droht alles über ihr zusammenzustürzen, ohne ... Auch gegen Lindner ist sie nur schlecht gewesen. Sie ist für die Tat (Jugend), aber es erscheint auch so: Es ist ihr alles gleichgültig, was man einwenden kann von den andern her wie auch von Gott und «anderem Zustand» her, sie will mit Ulrich zusammenleben, kommt sich sehr schlecht vor, aber will es trotzdem, und wenn es nicht gelingt, dann bleibt eben nur das Schlechte und das Ende.
Zu Agathes Niedergeschlagenheit: Der Gott zugeneigte Mensch ist nach Adler der mit Mangel an Gemeinschaftssinn – nach Schleiermacher der moralisch Indifferente, also Böse. Auch Frau ist Verbrecher. Für niemand wahre Sympathie als für Ulrich. Ich muß dich lieben, weil ich die andern nicht lieben kann. Gott und antisozial. Die Liebe zu Ulrich hat von Anfang an Haß und Feindschaft gegen die Welt mobilisiert.
[◁]
92
Moosbrugger im Irrenhaus. Eine Kartenpartie
Es war ungefähr eine Woche seit dem Besuch vergangen, den Clarisse dem Irrenhaus abgestattet hatte. Der Tag, wo sie Moosbrugger sehen sollte, stand nahe bevor und sie machte den Eindruck, daß sie dem eine Wichtigkeit beimaß wie der Begegnung zweier Herrscher.
«Bring ihm statt deines Gefühls lieber eine Wurst entgegen und Zigaretten» scherzte Siegmund in seiner Art.
Walter ärgerte sich über seinen Schwager und verteidigte plötzlich Clarisse. «Wenn sie am Klavier bis zur Leidenschaft gespielt hat, aufgeregt ist und Tränen in den Augen hat: ist sie nicht vollkommen im Recht, wenn sie sich weigert, in die Tram zu steigen, auf die Klinik zu fahren und sich dort so zu benehmen, als ob das ‹nur Musik› und wirkliche Tränen gewesen waren!?» Er weigert sich aber, mitzukommen.
Siegmund scheute Walters Überlegenheit und begnügte sich mit einem gutmütigen Brummen.
Clarisse sagte: «Er hat überhaupt noch nie eine Frau gesehn, immer nur Ersatzweiber.»
Als sie zur elektrischen Bahn gingen, sagte Siegmund: «Vergiß nicht, daß er nur ein Narr ist!» Clarisse drückte ihm als Antwort die Fingernägel in die Hand und blickte strahlend geradeaus.
In der Klinik führte sie Dr. Friedenthal diesmal nicht aus dem Haupt- und Verwaltungsgebäude hinaus; sie durchschritten bloß Gänge, weiß begrüßt von Wärtern und Gehilfen, und zwei von keinen Kranken belegte, aber dafür eingerichtete Zimmer. Dann traten sie in einen dritten großen Raum, in dessen Mitte vier Menschen um einen Tisch saßen; Dr. Friedenthal trat in einer leise auffallenden Weise aus dem Weg, und als Clarisse aufsah, füllte langsam ihren Blick die breite, ruhige Gestalt Moosbruggers aus.
Was sie erblickte, war allerdings seltsam genug: eine Kartenpartie. Moosbrugger saß, in dunkler, alltäglicher Kleidung mit drei Männern am Tisch, von denen einer den weißen Kittel des Arztes, der zweite einen Straßenanzug und der dritte die etwas abgenutzte Soutane eines Priesters trug; und außer diesen vier Figuren um den Tisch und ihren Holzstühlen war das Zimmer leer bis an die drei hohen Fenster, die auf den Garten sahen. Die vier Männer blickten auf, als sich Clarisse näherte, und Friedenthal stellte vor; Clarisse lernte einen jungen Assistenten der Klinik kennen, deren Seelsorger und einen zu Besuch gekommenen Arzt, von dem sie erfuhr, daß er einer der Sachverständigen sei, die bei der Verhandlung vor dem Schwurgericht Moosbrugger für gesund erklärt hatten; die vier Männer spielten Karten
Weitere Kostenlose Bücher