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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Mann, der nachts durch das Zimmer tappte, fühlte eine unbezwingbare Lust zu gackern und zu zanken. Und wenn Moosbrugger betrunken heimkam, was ja auch nicht gerade selten geschah, so war sein Schwanken und Stolpern wie ein großes Schiff, das auf den gleichen Wellen tanzte wie die kleinen, aufgeregten Sätze des Mädchens. Und wenn dem gewaltig betrunkenen Christian Moosbrugger ein Satz zu nahe ging, so schnappte er. Wie gesagt, es war nie wieder der unbedachte Zorn wie beim erstenmal, wo eine Bewegung seiner Hand Rachel beinahe zerschmettert hätte, aber er wollte dieses schreiende, sich gegen ihn auflehnende Kind zur Ruhe bringen, und mit vorsichtig bemessener Gewalt, so wie ein Betrunkener den Schritt über den Rinnstein ausmißt, ließ er seine Hand auf sie fallen. Wenn Rachel geschlagen wurde, war sie augenblicklich still. Ein maßloses Staunen befiel sie wie bei einer ganz unerwarteten abschließenden Antwort. Sie war, seit sie das Elternhaus hinter sich gelassen hatte, nicht religiös; nach ihrem Werdegang erschien ihr Religion als eine Sache für unfeine Leute: aber wenn ein Elohim oder besser ein böser Geist plötzlich auf einer Bank im Stadtpark zwischen den geputzten Menschen gesessen wäre, gerade so kam es ihr vor, wenn sie geschlagen wurde. Es zog sie in die Nähe, diesen bösen Geist noch einmal zu betrachten, und sie suchte ihn in Bewegung zu bringen. Dann öffnete sie eben wieder den Mund und sagte etwas, wovon sie ebenso sicher wußte, daß es Moosbrugger reizen könnte, wie daß es, wenn er es befolgen wollte, das richtige zu seinem Heil wäre. Dann schlug sie Moosbrugger mit dem Rücken der Hand auf die Wange oder stieß sie an die Wand. Und Rachel, obgleich schon wieder staunend, fand noch ein Wort, spitz und eindringlich wie eine Stricknadel. Und Moosbrugger mußte natürlich darauf die Gabe größer machen. Und dieser Riese, der nicht erschlagen will, schlägt sie wild über den Rücken, aufs Gesäß, zerreißt ihr das Hemd, wirft sie an den Haaren zu Boden oder schleudert sie mit einem Fußtritt in die Ecke, aber tut alles dies doch mit so viel Behutsamkeit in der Wildheit, wie es sein Rausch nur erlaubt, damit ihr nicht die Knochen brechen. Und Rachel staunt den bösen Geist der Kraft und Roheit an, der alle Worte nichtig macht. Sie wird völlig leicht, wenn Moosbrugger sie stößt. Gegen seine Kraft gibt es keinen Willen. Der Wille kommt erst wieder, wenn der Schmerz aufhört. Und solange der Schmerz da ist, heult sie und ist selbst darüber erstaunt, wie sie gegen die Wände zetert. Und Moosbrugger möchte sich an den Kopf greifen und seihen eigenen Kopf aus den gehobenen Fäusten auf die Erde schmettern, wenn er dieses verwünschte Nichts von einem Menschen damit nur zum Schweigen bringen könnte!
    Am Tage nach solchen Abenden kommt es Rachel vor, als ob sie selbst betrunken gewesen wäre. Ihre Vernunft sagte ihr, daß sie ein Ende machen müsse. Sie suchte Ulrich auf. Aber man gab ihr die Antwort, daß er verreist sei, und niemand wisse, wo er sich aufhielte, noch wann er zurückkehre. Am Rückweg glaubte sie zu bemerken, daß alles in der Welt heimlich auf Schlagen eingerichtet sei. Es fuhr ihr nur so durch den Kopf. Die Eltern das Kind. Der Staat die Sträflinge. Das Militär die Soldaten. Der Reiche die Armen. Der Kutscher die Pferde. Die Leute gingen mit großen Hunden an der Leine spazieren. Jeder schüchtert den anderen lieber ein, als sich mit ihm zu verständigen. Was ihr widerfahren war, war nicht anders, wie wenn sie mit den Händen in reine Lauge gegriffen hätte, statt in die verdünnte, die allerorts zum Waschen benützt wird. Sie mußte heraus! Ihr Sinn war wirr. Sie nahm, sich vor, abends, wenn Moosbrugger aus dem Haus sei, mit allem, was sie noch besaß, zu entfliehn. Es mußte für sie allein noch ein paar Wochen reichen. Sie setzte ein argloses Gesicht auf, als sie die Wohnung betrat, um Moosbrugger nicht mißtrauisch zu machen. Aber obgleich es erst sechs Uhr und noch heller Tag war, fand sie ihn dort nicht vor. Ein augenblicklicher Argwohn ließ sie Umschau halten. Von ihren Kleidern fehlte fast alles. Die Lampe und ein Teil der Decken war fort. Wenn nicht in seiner Abwesenheit Diebe eingedrungen waren, so hatte Moosbrugger selbst alles zusammengerafft und versilbert.
    Rachel packte den Rest zusammen. Aber dann wußte sie nicht, wo sie um diese Stunde, bei beginnendem Abend hinsolle. Sie beschloß, noch eine Nacht auszuharren und den Mund zu halten, wenn Moosbrugger

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