Gesammelte Werke
so schwer betrunken zurückkehren werde, wie es nach diesen Vorbereitungen zu erwarten war. Am Morgen wollte sie dann spurlos verschwinden. Sie legte sich aufs Bett, und obgleich Moosbrugger auch den Kopfpolster mitgenommen hatte, schlief sie zum ersten Male ruhig die ganze Nacht.
Trotz dieses tiefen Schlafs wußte sie am Morgen sofort, noch ehe sie die Augen öffnete, daß Moosbrugger nicht nach Hause gekommen sei. Sie sah sich um und wollte es benutzen, um sich rasch fertig zu machen. Aber sie war traurig; sie fürchtete, daß Moosbrugger in seinem Leichtsinn der Polizei in die Hände gefallen sei, und das tat ihr leid. Unwillkürlich zögerte sie, während sie ihr Bündel schnürte. In Wahrheit hatte Moosbrugger schon längere Zeit etwas vorgehabt. Er hatte sehr gut bemerkt, daß Rachel das Geld an ihrem Busen verwahre, und er wollte es ihr wegnehmen. Aber er scheute sich hinzugreifen. Er fürchtete sich vor diesen zwei mädchenhaften Dingen, zwischen denen es lag; warum, wußte er nicht. Vielleicht, weil sie so unmännlich waren. So kam es zu dem anderen Plan. Der war der natürlichere. Er hob Moosbrugger und setzte ihn wieder ab. Wenn es Moosbrugger aber einmal ganz belieben sollte, so würde er sich auf diese Weise Reisegeld verschaffen und sich ganz forttragen lassen. Eigentlich gefiel es ihm bei Rachel recht gut. Sie hatte ihre Eigenheiten, die ihn dumpf verfolgten; aber wenn er in Wut geriet oder wenn er sie zur Liebe einfing, so entlud er jedesmal wieder einen Teil seines Unbehagens, und der Spiegel seines Plans stieg darum ziemlich langsam. Er fühlte sich bei Rachel einigermaßen gesichert; ja, das war es, ein sehr geordnetes Leben, wenn er abends ausging, sich etwas betrank, und dann seinen Streit mit ihr hatte. Es nahm ihm gleichsam jeden Abend die Patrone aus der Waffe. Die beiden hatten Glück damit, daß er Rachel sozusagen in kleinen Teilen schlug. Aber eben, weil das Leben mit ihr so gesund war, erregte sie auch nicht im großen seine Phantasie, und er hätschelte seinen heimlichen Plan, in die Welt zu verschwinden; er wollte ihn mit einem großen Rausch beginnen. Als es neun Uhr vormittags war, holte sich Rachel eine Zeitung, um nachzusehen, ob nichts Böses darinstehe. Sie sah es gleich. Eine Frauensperson war nachts von einem Betrunkenen oder Irrsinnigen zerfleischt worden, und man hatte den Mörder gefaßt, und die Feststellung seiner Persönlichkeit stand bevor. Rachel wußte, daß es niemand anderer als Moosbrugger war. Die Tränen traten ihr in die Augen. Sie wußte nicht warum, denn sie fühlte sich froh und erleichtert. Und wenn Clarisse sich wieder einfallen lassen sollte, Moosbrugger zu befrein, so würde Rachel die Polizei auf sie aufmerksam machen. Aber weinen mußte sie doch den ganzen Tag, als ob nun ein Stück von ihr selbst an den Galgen kommen sollte.
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Generaldirektor Fischel
Ein eleganter Herr ließ seinen Wagen halten und rief Ulrich an; Ulrich erkannte mit Mühe in der selbstsicheren Erscheinung, die sich aus dem vornehmen Fuhrwerk beugte, Direktor Leo Fischel. «Man muß Glück haben!» rief ihm Fischel entgegen. «Meiner Sekretärin glückt es seit Wochen nicht, Ihrer habhaft zu werden! Immer heißt es, Sie sind verreist.» Er übertrieb, aber dies Chefbewußtsein, mit dem er sich zeigte, machte einen echten Eindruck.
Ulrich sagte leise: «Ich hatte mir Ihr Befinden ganz anders vorgestellt.»
«Was hat man Ihnen von mir gesagt?» forschte Fischel neugierig.
«Ich glaube, wohl so ziemlich alles. Ich habe lange Zeit erwartet, von Ihnen durch die Zeitungen zu hören.»
«Unsinn! Frauen übertreiben immer. Wollen Sie mich nicht in meine Wohnung begleiten? Ich erzähle Ihnen alles.»
Die Wohnung hatte sich verändert, einen Hauch von Generaldirektion irgendwelcher Unternehmungen bekommen, und war ganz und gar unweiblich geworden. Aber Fischel erzählte nicht genau. Es war ihm mehr darum zu tun, sein Ansehen bei Ulrich wieder zu befestigen. Seinen Austritt aus der Bank behandelte er als einen Zwischenfall. «Was wollen Sie, ich hätte noch zehn Jahre bleiben können, ohne vorzurücken! Ich bin in voller Freundschaft ausgetreten!» Er hatte eine so selbstbewußte Art zu sprechen angenommen, daß sich Ulrich veranlaßt sah, ihm trocken seine Verwunderung darüber zu bemerken. «Sie hatten sich doch so ruiniert,» fragte er «daß man annahm, Sie mußten sich entweder erschießen oder vor Gericht wandern?»
«Ich würde mich nie erschießen, ich würde mich
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