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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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denn diese Vorstellung nahm ihr allen Mut aus der Brust und machte sie ganz elend.
    So kam der Tag, ehe sie mit sich fertig war. Moosbrugger erhob sich, und schlotternd vor innerer Leere, mußte sie seinem Beispiel folgen. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, daß Mund und Nase stark angeschwollen waren, inmitten eines grüngelb entfärbten, halb ausgelöschten Gesichts; der Zauber dieser Nacht hatte Rachel häßlich und anspruchslos gemacht. Weder sie noch Moosbrugger sagten etwas. Moosbrugger hatte einen wirren Kopf, er hatte im Schlaf den Schnaps gerochen und war mit dem Gefühl aufgewacht, nicht genug getrunken zu haben. Als er Rachels angelaufenes Gesicht sah, ahnte er etwas von dem, was gestern vor sich gegangen war; eine dunkle Erinnerung, daß sie sich herausfordernd betragen habe, hielt ihn davon ab, sie zu fragen. Er hätte sie aber gerne gefragt; eigentlich wußte er bloß nicht, wie er es anstellen solle. Und Rachel wartete auf ein gutes Wort von ihm, wie nur irgendein verliebtes Mädchen wartet; als er sich schweigend bedienen ließ, wurde sie immer trotziger. Moosbrugger wäre am liebsten gleich wieder in die Kneipe gegangen, aber er hatte vor diesem Mädchen Angst, das ihm wieder einen Auftritt machen möchte, und er konnte sie doch nicht immerzu schlagen. Ihre vom Heulen verschwollenen Augen widerten ihn noch mehr an als der aufgequollene Mund, der sichtbar wurde, wenn sie das Tuch, das sie daran hielt, von neuem näßte. Er sei ja wohl schuld, sagte er sich, alles was richtig ist, aber gleich am Morgen das wieder um sich zu haben, sei ihm zu viel. Der zarte Rücken Rachels und ihre schlanken Arme, die sie beim Waschen jetzt zeigte, der Teufel sollte sie holen, ihm gefielen sie nicht und kamen ihm wie Hühnerknochen vor.
    Er faßte alles in allem so zusammen, daß er sich in einer sehr dummen Lage befinde, aber möglichst in Ehren ausharren müsse. Er ging abends ins Wirtshaus, das hatte er beschlossen, in dieser Gegend, wo man ihn nicht kannte, zu wagen, und Rachel traute sich nicht mehr, das Geld zu verweigern, oder bei diesem Anlaß Vorwürfe zu machen. Auch dann nicht, als er Karten zu spielen begann und dazu mehr Geld brauchte. In der Kneipe fand man leidlich gute Gesellschaft, in dieser Weise, dachte Moosbrugger, könne man ausharren, wenn man bei Tag recht viel schlafe. Aber Rachel schlief bei Tag nicht und störte ihn wie eine Fledermaus. Einigemal fing er sie. Einigemal machte er auch den Versuch, ein besseres Leben zu beginnen und mit ihr als mit einem kleinen Fräulein zu sprechen, das sie ja auch war. Aber da zeigte sich, daß Rachel nicht mehr konnte. Sie antwortete ausweichend und einsilbig. Wenn Moosbrugger den Mund öffnete, erstarrte sie, ohne es zu wollen; denn sie hätte gern mit ihm gesprochen, aber er hatte etwas Fremdes in sie geschüttet, Gewalt, und der Brunnen, aus dem alles Sagenswerte kommt, war zugefroren. So blieb Moosbrugger nichts übrig, als sich zur Wand zu drehen.
    Aber es gab einen Augenblick, wo sie jedesmal sprach, und das war, wenn Moosbrugger vom Wirtshaus zurückkehrte. Wenn er nicht betrunken war, schwieg er dazu oder brummte bloß unverständliche Antworten, und Rachel verfolgte ihn bis in den Schlaf mit Vorwürfen seines Leichtsinns. Er hatte sie in der Spannung geschlagen, der seht unangenehmen, die in ihm herrschte, solange er sich verlockt fühlte, das Haus zu verlassen, und sich noch nicht dazu entschließen konnte; jetzt, wo er einstweilen damit im Gleichgewicht war, zeigte er sich fein und artig; und Rachel, die herausfühlte, daß sie keine Gefahr laufe, wagte sich immer weiter vor. Er blieb bloß von einem Tag zum anderen länger aus, in dem Wunsch, erst zurückzukehren, wenn sie eingeschlafen sei. Aber Rachel hatte eine merkwürdige Art Schlaf angenommen. Wenn er mit der Dunkelheit das Haus verließ, schlief sie augenblicklich ein, und wenn er zurückkehrte, wachte sie auf und mit einer Sicherheit, als sei das nur die Fortsetzung ihres Schlafs, begann sie mit ihm zu zanken. Ihre arme Seele, dazu verurteilt, mit Überlegung und Gedanken ihre Lage nicht auflösen zu können, ließ sich dann von den trunkenen Kräften des Schlafs emporheben.
    «So ein Hendl!» dachte Moosbrugger von ihr, und die Beleidigung, daß solch ein mageres Huhn tagaus, tagein um ihn herumscharren dürfe, wurmte ihn. Aber Rachel, als wüßte sie, wie er von ihr denke, und ohne daß er es je ausgesprochen hätte, fast wie in einer somnambulen Übereinstimmung mit dem schweigsamen

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