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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Überanstrengtes und Herzergreifendes gab. «Nun hat sie eine neue Verrücktheit» dachte Fischel «und wird wieder nicht in geordnete Verhältnisse kommen ...!» Er überschlug ein Dutzend Männer, die man, nachdem Hans Sepp glücklich tot war, als gediegene Bewerber betrachten konnte; aber es ließ sich angesichts der verfluchten Unsicherheit, die hereingebrochen war, von keinem voraussagen, was morgen mit ihm sein würde. Gerdas blondes Haar schien struppiger geworden zu sein, sie hatte ihre Erscheinung vernachlässigt, aber dadurch war ihr Haar dem Fischels ähnlicher geworden und hatte die weiche dunkelblonde anmaßende Glätte verloren, welche die Haare in der Familie ihrer Mutter auszeichnete. Erinnerungen an einen ungekämmten tapferen Stallpinscher und an sich selbst, der sich emporgekämpft hatte und augenblicklich wieder vor etwas stand, das noch kein Mensch überblickte, über das er aber wegklettern würde, vermengten sich in seinem Herzen mit der tapferen Dummheit seiner Tochter zu einer heißen Zusammengehörigkeit. Leo Fischel richtete sich in seinem Sessel auf und legte die Hand nachdrücklich auf die Schreibtischplatte. «Mein Kind!» sagte er. «Ich habe ein sonderbares Gefühl, wenn ich dich so reden höre, während die Menschen hurrah schreien und die Preise anziehen. Du sagst, ich ahne nicht; aber ich ahne, nur kann ich selbst nicht sagen was. Glaub nicht, daß ich mich nicht auch ergriffen fühle. Setz dich, mein Kind!»
    Gerda wollte nicht, sie war zu ungeduldig; aber Fischel wiederholte mit Stärke seinen Wunsch, so daß sie gehorchte und sich zögernd auf dem äußersten Rand eines Sessels niederließ. «Du bist heute den ersten Tag wieder zurück, hör mich an!» sagte Fischel. «Du sagst, ich verstehe nichts von Liebe und Totschießen und dergleichen; mag sein. Aber wenn dir auch, Gott behüte, im Spital nichts zustoßen wird, solltest du mich doch ein wenig verstehn, ehe wir uns wieder trennen. Ich bin sieben Jahre alt gewesen, wie wir den Krieg gegen Preußen hatten. Auch damals haben zwei Wochen lang alle Tage die Glocken geläutet und im Tempel haben wir Gott um die Vernichtung der Preußen gebeten, mit denen wir heute verbündet sind. Was sagst du dazu? Was soll man überhaupt dazu sagen?»
    Gerda wollte nicht antworten. Sie hatte das Vorurteil, daß die gegenwärtigen Tage den jungen begeisterten Menschen gehörten, nicht den vorsichtigen Alten. Und nur widerstrebend, weil ihr Vater sie so forschend ansah, murmelte sie irgendeine Erwiderung. «Man lernt sich eben im Lauf der Zeit besser verstehen!» Darauf kam ihre Antwort wegen der Preußen hinaus.
    Aber Leo Fischel griff ihr Wort lebhaft auf: «Nein! Man lernt sich nicht besser verstehen, im Lauf der Zeit; gerade das Gegenteil ist es, sage ich dir! Wenn du einen Menschen kennen lernst, und er gefällt dir, kann es sein, daß dir vorkommt, du verstehst ihn; wenn du aber fünfundzwanzig Jahre mit ihm zu tun gehabt hast, verstehst du kein Wort! Du denkst, sagen wir, er müßte dir dankbar sein; aber nein gerade in dem Augenblick flucht er auf dich. Immer wenn du denkst, er muß ja sagen, sagt er nein; und wenn du nein denkst, denkt er ja. Das macht, er kann warm sein und kalt sein, hart sein und weich sein, wie es ihm paßt; und glaubst du, es wird ihm dir zuliebe passen, so zu sein, wie du möchtest?! So wenig, wie es diesem Sessel paßt, ein Pferd zu sein, weil du schon ungeduldig bist und fort sein möchtest!»
    Gerda lächelte ihren Vater schwach an. Seit sie zurückgekehrt war und die neuen Verhältnisse sah, machte er ihr einen starken Eindruck, sie konnte sich nicht helfen. Und er liebte sie, daran war nicht zu zweifeln, und es tat ihr wohl.
    «Was machen wir aber mit den Dingen, denen es nicht paßt, sich von uns verstehen zu lassen?» fragte sie. Fischel sagte prophetisch: «Wir messen sie, wir wägen sie, wir zerlegen sie in Gedanken, und allen unseren Scharfsinn richten wir darauf, etwas an ihnen zu finden, das sich gleich bleibt, woran wir sie packen können, worauf wir uns verlassen können und womit wir rechnen können! Das sind die Naturgesetze, mein Kind, und wo wir sie herausgefunden haben, dort können wir die Dinge in Serien herstellen und kaufen und verkaufen, wie es uns beliebt. Und nun frage ich dich, was können die Menschen untereinander tun, wenn sie sich nicht verstehen? Ich sage dir, es gibt nur eines! Wenn du sein Begehren reizt oder wenn du es einschüchterst, kannst du einen Menschen genau dorthin

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