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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Welt erheben.»
    «Du bist ein tiefes Mädchen!» Fischel schloß sie in seine Arme und entließ sie. Gerdas jugendlicher Eifer gefiel ihm. «Mein Glück!» nannte er sie bei sich und sah ihr zärtlich nach. Eine Aussprache mit einem Menschen, den man liebt und versteht, ist eine Kräftigung. Er hatte lange nicht so philosophiert; es war eine merkwürdige Zeit. Im Gespräch mit diesem Kind war Fischel über sich selbst klar geworden. Er wollte kaufen. Nicht ein Schiff, mindestens fünf Schiffe. Er ließ seinen Sekretär kommen. «Wir können das nicht selbst machen,» sagte er ihm «es würde nicht gut aussehen, aber wir wollen es durch eine Mittlerfirma machen lassen.» Aber das war Leo Fischel nicht die Hauptsache. Die Hauptsache war, daß er ein Gefühl der Verwandtschaft mit den Geschehnissen gewonnen hatte, und doch auch der Vereinsamung. Er hatte trotz des Auf und Nieder, das ihn umgab, Ordnung in sich gebracht.
    Gerda und der Krieg: Krankenpflegerinnenabsicht; vielleicht auch darum mit Ulrich gegangen, damit er ihr durch General die Möglichkeit verschafft. Die junge Generation hat das Gefühl: Der Krieg ist für uns da, damit wir zu Tätigkeit und Wichtigkeit kommen; eine neue Zeit beginnt. Manchmal sind ja gerade junge Menschen beklommen (Ulrich sagt: Mit dreißig Jahren ist man tapferer als mit zwanzig, weil man weiß, das Leben bietet nur noch diesen Ausweg oder ähnliches), aber sie haben unrecht, sind lasch.
    [◁]
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    Eine Einschaltung über Kakanien. Der Herd des Weltkriegs ist auch der Geburtsort des Dichters Feuermaul
    [Fragment]
    Es darf vorausgesetzt werden, daß das Wort «Der Herd des Weltkriegs», seit es diesen Gegenstand gibt, zwar oft benützt worden ist, stets jedoch mit einer gewissen Ungenauigkeit in der Frage, wo dieser Gegenstand seinen Platz habe. Ältere Leute, die noch persönliche Erinnerungen an jene Zeit besitzen, denken da wohl an Sarajewo, doch fühlen sie selbst, daß diese kleine bosnische Stadt bloß das Ofenloch gewesen sein kann, durch das der Wind einfuhr. Gebildete Leute werden ihre Gedanken auf die politischen Knotenpunkte und Welthauptstädte richten. Noch höher Gebildete dürften mit Sicherheit außerdem die Namen von Essen, Creuzot, Pilsen und der übrigen Zentren der Waffenindustrie im Gedächtnis haben. Und ganz Gebildete werden dem etwas aus der Petroleum-, Kali- und sonstigen Gütergeographie hinzufügen, denn so hat man es oft gelesen. Aus all dem folgt aber bloß, daß der Herd des Weltkriegs kein gewöhnlicher Herd gewesen ist, denn er stand an mehreren Orten gleichzeitig.
    Vielleicht sagt man darauf, daß dieses Wort bloß bildlich zu verstehen sei. Aber dem ist in so voller Weise zuzustimmen, daß sich alsbald noch viele größere Verlegenheiten daraus ergeben. Denn gesetzt nun, es wolle Herd in seiner Bildlichkeit ungefähr das gleiche bedeuten wie Ursprung oder Ursache ohne solche, so weiß man zwar, daß der Ursprung aller Dinge und Geschehnisse Gott ist, aber anderseits hat man nichts davon. Denn mit den Ursprüngen und Ursachen ist es so bestellt, wie wenn einer seine Eltern suchen geht: zunächst hat er zwei, und das ist unbezweifelbar; bei den Großeltern aber sind es schon zwei zum Quadrat, bei den Urgroßeltern zwei zur Dritten und so fort in einer sich mächtig öffnenden Reihe, die sich nirgends bezweifeln läßt, aber das merkwürdige Ergebnis hat, daß es am Ursprung der Zeiten schon eine fast unendliche Unzahl von Menschen bloß zu dem Zweck gegeben haben müßte, einen einzigen der heutigen hervorzubringen. Wenn das auch schmeichelhaft ist und der Bedeutung entspricht, die der Einzelne in sich fühlt, so rechnet man heute doch zu genau, als daß man es glauben könnte. Schweren Herzens muß man also auf seine persönliche Ahnenreihe verzichten und annehmen, daß man «ab irgendwo» gruppenweise gemeinsam abstamme. Und das hat verschiedene Folgen. So die, daß die Menschen sich teils für «Brüder» halten, teils für «Fremdstämmlinge», ohne daß einer diese Grenze zu bestimmen wüßte, denn das, was man Nation und Rasse heißt, sind Ergebnisse und keine Ursachen. Eine andere Folge, nicht minder einflußreich, wenn sie auch nicht so offen zutage liegt, ist die, daß Herr Beliebig nicht mehr weiß, wo er seine Ursache hat; er fühlt sich infolgedessen wie einen abgeschnittenen Faden, den die fleißige Nadel des Lebens haltlos aus- und einzieht, weil man vergessen hat, ihm einen Knopf zu machen. Eine dritte, jetzt erst aufdämmernde, zum

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