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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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bewußtlosen gemeinsamen Körpers alle untereinander verbinden. Nach drei Tagen und Nächten war Clarisse erschöpft, ihre Stimme flüsterte nur noch, ihre «Überkraft» hatte gesiegt, und sie wurde ruhig.
    Man brachte sie zu Bett, und sie lag einige Tage in tiefer Müdigkeit, die von Anfällen quälender, gestaltloser Unruhe unterbrochen wurde. Ein «Junger», eine rosigblonde Frau von einundzwanzig Jahren, die sie vom ersten Tag an als Befreier angesehen hat, brachte ihr endlich die erste Erlösung. Sie kam an ihr Bett, sie sagte irgendetwas, für Clarisse hieß es: ich übernehme die Mission. Clarisse erfuhr später, daß die rosige Blonde an ihrer Stelle Tag und Nacht in der Wasserzelle durch Gesang den Teufel ausgetrieben habe. Clarisse aber blieb im großen Saal, pflegte die Kranken und «lauschte ihre Sünden ab». Es waren Sätze wie Puppen, aus denen der Verkehr zwischen ihr und ihren Beichtkindern bestand, unscheinbare, hölzerne Sätzchen, und nur Gott weiß, was sie ursprünglich damit meinten; aber wenn Kinder mit Puppen spielen und sie würden das Gleiche und etwas Bestimmtes meinen müssen, um sich verstehen zu können, würde niemals das Zauberkunststück gelingen, welches aus einem unförmigen Holz ein Wesen macht, das die Seele mehr erregt als es später die leidenschaftlichsten Geliebten vermögen. — Endlich sprach eines Tages ein gewöhnliches Weib, welches früher ihren Rücken mit Fäusten geschlagen hatte, Clarisse an und sprach also: «Versammle deine Jünger heute zur Nacht und feire dein Abschiedsmahl. Was für Speisen verlangt der hohe Herr? Sag es, damit sie für dich bereitet werden. Wir aber wollen abziehn und nicht mehr unter deinen Augen erscheinen!» Zugleich küßte eine andere, die an Paralyse litt, leidenschaftlich Clarissens Hände und ihr Auge war vom nahenden Tod verklärt wie ein Stern, der in der Nacht alle anderen überstrahlt. Clarisse fühlte: Es ist wirklich kein Wunder, daß ich geglaubt habe, eine Sendung erfüllen zu müssen, aber trotz dieses schon klareren Gefühls zweifelte sie, was sie zu tun habe. Zu ihrem Glück wurde sie an diesem Tag in die Abteilung der ruhigen Kranken versetzt.
    Ruhige Abteilung:
    In der ruhigen Abteilung erwacht ihr Selbsterhaltungstrieb vollends.
    Ihre Gedankenwelt:
    Liquidierung der Krankheit.
    Gedanken werden klarer und banaler. Aufklärender langweiliger Himmel.
    Nur eine tiefe Traurigkeit bleibt.
    Es unterscheidet sich eigentlich kaum noch von dem Ideenmischmasch eines durchschnittlichen Intellektuellen.
    Eventuell: Ulrich zeigt das Diarium einem solchen. Er hat nur den Einwand: das ist ein Mensch einer älteren Generation, keiner der unsren.
    Wahrscheinlich nur abgekürzt wiederzugeben:
    Ihr Flug ist gebrochen. Wie bei einem Menschen, dem sein Lebenswerk mißlang. Aber sie erscheint sich als «eine der mysteriösesten Figuren». Rückfälle (Schimpfen). Sehnsucht nach Mutterschaft und Walter. ––––––– Gesteigerte Symbolik. Anfangsstadium, sie formt noch Figuren, ihr Farben- und Formensinn ist überempfindlich, sie fühlt sich noch mit den Kranken solidarisch. Aber ihre Gedanken sind von einer langweiligen Symmetrie. Sie formt Zahlen aus dem Kot. Sie versucht auf jede Weise – wie eben ein Mensch tut, der weder Genie noch Kenntnisse hat – der Einengung zu entrinnen. Kritik an Ärzten.
    Walter sagt sich los. Dämmernde Gesundheit.
    Walter läßt ihr ––––– sagen, daß er sich von ihr trennen lassen wird. Von da an ist sie ihm ergeben. Walter liebt Lilli, eine von zwei Schwestern. «Sie ist eben weiblich», so faßt er es zusammen. ––––– Offizierstöchter, was ihm imponiert. An Heirat ist nicht zu denken ––––– Aber er will sich trennen lassen.
    –– als ihr ihre Situation aufdämmert, ist das erste der feste Entschluß, sobald wie möglich aus der Klinik herauszukommen. So sehr, daß sie nicht genug auf das Unterscheidende ihres Zustandes achtet, um ihn später zu vermeiden; wenigstens leidet sie später unter dieser Vorstellung.
    Auf Rat der Ärzte beschäftigt sie sich viel mit sich selbst und schreibt. Es entgeht ihr nicht, daß und warum die Ärzte Wert darauf legen, sie mit Walter wieder zusammenzubringen. Er soll sie wieder in das vernünftige Leben zurückziehen. Aber da er sich scheiden lassen will, nimmt das die Form der Ideen an, wonach sie für ihre Mission geopfert werden muß.
    Sonst ist das Zusammenleben wie früher. Über die Krankheit wird gesprochen wie vom Schnupfen. Oder

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