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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Walter behauptet, daß die moderne Malerei gegenüber der der Renaissance inferior sei, und man belegt es mit Beispielen, die man erst jüngst gesehen hat. Über Klages wird gestritten. Walter schwärmt von Stifter, – das aber wohl nicht ganz ohne einen Unterton junger Erinnerungen und ohne die zumindest unbewußte Ausspielung dieser einfachen Größe gegen alles Kranke und Komplizierte.
    Clarisse tut ihm sehr leid. Er weiß noch nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten soll. Wahrscheinlich bringt ihr nächster Anfall die Lösung. Jetzt hat er noch nicht den Mut, trotzdem ihn Lilli drängt. Er gesteht alles Clarisse. Mit dem Kopf in ihrem Schoß. Sie weint vor Mitfreude. Aber sie schämt sich. Sie fühlt zum erstenmal vielleicht ihr Insuffizienz. Am Tag trifft er Lilli, abends geht er nachhause und verbringt den Abend mit Clarisse. Sie musizieren, alles ist ganz wie sonst, in ihrem Ton zueinander nicht die leiseste Änderung.
    Clarisse erinnert sich nur ungefähr an ihre Zustände. Schließlich scheidet sie sich aus und geht sie in die Einsamkeit.
    [◁]
124
    Gerdas Rückkehr
    [Entwurf]
    Gerda war zurückgekehrt. Nach Hans’ Tode hatte sie augenblicklich in der Welt nichts zu suchen. Aber wenn Fischel erwartet hatte, seine Tochter niedergedrückt wiederzufinden, so irrte er sich. Eine junge Dame trat bei ihm ein, die die Brosche der Krankenpflegerinnen vom Roten Kreuz trug und offenbar weitgehende Pläne hatte.
    «Ich werde als Krankenpflegerin mitgehen, Papa» sagte Gerda.
    «Nicht gleich, nicht gleich, mein Kind!» antwortete Generaldirektor Fischel ergeben. «Man muß abwarten, kein Mensch weiß, was aus dieser Sache wird.»
    «Wie soll sie werden! Ich habe an den Sammelstellen schon die jungen Männer gesehn. Sie gingen. Ihre Frauen und Bräute begleiten sie. Niemand weiß, wie er zurückkommt. Aber wenn man durch die Stadt geht und den Menschen in die Augen sieht, auch denen, die noch nicht ins Feld gehen, es ist wie eine große Hochzeit.»
    Fischel sah über sein Glas hinweg bekümmert seine Tochter an. «Ich wünsche dir eine andere Hochzeit, Gott soll uns behüten. Eine holländische Firma bietet mir ein Schiff mit Margarine an, greifbar Rotterdam Hafen, verstehst du, was das heißt? Fünf Kronen Unterschied auf die Tonne seit gestern! Wenn ich nicht depeschiere, sind es morgen vielleicht sieben Kronen. Das heißt die Preise ziehen an. Die jungen Männer, wenn sie mit beiden Augen aus dem Feldzug zurückkommen, werden beide Augen brauchen, um ihrem Geld nachzusehn!»
    «Ach» – sagte Gerda «man spricht von Teuerung, aber das hat es immer anfangs gegeben. Auch Mama ist ganz toll.»
    «So? –» fragte Fischel. «Hast du schon mit Mama gesprochen, was tut sie?»
    «Sie ist augenblicklich in der Küche» Gerda wies mit dem Kopf gegen die Wand, hinter der es zur Küche ging «und legt wie toll Dauergemüse ein. Vorher hat sie Silbergeld eingewechselt, wie es jetzt alle tun. Und dem Küchenmädchen hat sie gekündigt; weil der Diener ohnedies einrücken muß, will sie das Personal ganz einschränken.»
    Fischel nickte befriedigt. «Sie ist für den Krieg. Sie hofft, daß die Roheit aufhören wird und daß die Menschen geläutert werden. Aber sie ist auch eine kluge Frau, sie sorgt vor.» Fischel sagte dies ein wenig spöttisch und ein wenig zärtlich.
    «Ach, Papa» fuhr Gerda auf. «Wenn ich so wollte wie du, hätte ich Herrn Glanz geheiratet. Du verstehst mich schon wieder nicht. Ich lasse mich nicht ausschließen, weil meine erste persönliche Erfahrung nicht gut gewesen ist! Du wirst durchsetzen, daß ich an ein Feldspital komme. Die Kranken sollen, wenn sie aus dem Feld kommen, wirkliche, moderne Menschen vorfinden, nicht Betschwestern: Du ahnst ja nicht, wieviel Liebe und Gefühle, wie wir sie noch nie erlebt haben, heute auf allen Straßen (zu sehen) sind! Wir haben gelebt wie die Tiere, die der Tod eines Tages absticht; das ist jetzt anders! Es ist ungeheuer, sage ich dir; alle sind Brüder, selbst der Tod ist kein Feind; man liebt seinen eigenen Tod um der anderen willen; man versteht heute zum erstenmal das Leben!»
    Fischel hatte seine Tochter stolz und besorgt angestarrt. Gerda war noch magerer geworden. Scharfe, altjüngferliche Linien zerschnitten ihr Gesicht in einen Augenteil, einen Nasen-Mundteil, eine Kinn- und Halsfläche, die anzogen wie Pferde vor einer zu schweren Last, wenn Gerda etwas sagen wollte, bald der eine, bald der andere, nie alle gleichzeitig, was dem Gesicht etwas

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