Gesammelte Werke
psychologischen Irrationalismus besteht wesentlich in zwei Punkten. Einmal ist uns die Irrationalität keine Irrationalität schlechthin, keine dem Bewußtseinsleben verschlossene Transzendenz, sondern allein ein Grenzbegriff der Erkenntniskritik, der metaphysische Konsequenzen nicht involviert. Dann aber ist unser Begriff des Unbewußten selbst auf etwas ganz anderes bezogen als in der herkömmlichen Irrationalitätsphilosophie Schopenhauerisch-Hartmannischer Provenienz. Wir nennen unbewußt nicht die konstitutiven Faktoren des Bewußtseins, sondern die von ihnen konstituierten psychischen Dingbegriffe. Unbekannt sind sie allein hinsichtlich ihrer vollständigen empirischen Erfülltheit. Damit ist anstelle der Metaphysik des Unbewußten, die sich an die willkürliche Irrationalisierung der transzendentalen Bedingungen anschloß, ein erkenntniskritisch geklärter und empirisch gültiger Begriff des Unbewußten getreten, der nicht allein mit den Forderungen des transzendentalen Idealismus vereinbar, sondern eine notwendige Folge unserer Kenntnis der transzendentalen Bedingungen unseres Bewußtseinsverlaufs ist. Hier erst stellt sich vollends die Richtigkeit der eingangs aufgestellten These heraus: daß der Widerspruch zwischen Transzendentalphilosophie und Irrationalismus, der die philosophische Diskussion der letzten Generation weithin beherrschte, Schein ist. Beiden Gegenpositionen ist die bestimmende Voraussetzung eigen, daß ihnen die Konstitution der Realität eine Funktion ist der Konstitution des Ich; beide gehen vom geschlossenen Immanenzzusammenhang des Bewußtseins aus. Beiden ist Bewußtsein das Maß aller Wahrheit. Der Zwang dieser Voraussetzungen reicht zu tief, als daß bei konsequenter Verfolgung der Problemstellungen auf Grund der gleichen Voraussetzungen radikal divergente Ergebnisse gezeitigt werden könnten. Die Irrationalitätsphilosophie bedarf allein der Elimination ihrer dogmatischen Voraussetzungen, um auf die letzte Gegebenheit transzendentaler Faktoren und damit auf die Systematik des transzendentalen Idealismus verwiesen zu werden, die ihrer Lebensmetaphysik so sehr widerstritt; die Transzendentalphilosophie bedarf allein der Ergänzung durch einen Begriff des Unbewußten und einen kritisch geklärten Begriff der psychologischen Irrationalität, um mit einer kritisch geklärten Irrationalitätsphilosophie zur Verständigung zu gelangen. Man wird sich freilich dabei nicht verschweigen dürfen, daß bei dieser wechselseitigen Annäherung die Irrationalitätsphilosophie die weitere Strecke zurückzulegen hat.
Das
phänomenale
Unbewußte ist stets durch einfache Erinnerung zu geben, ohne daß die Erfüllung bestimmter Erwartungszusammenhänge zu fordern wäre; und soweit die einfache Erinnerung vollzogen wird, ist uns das phänomenal Unbewußte vollständig bekannt. Seine Erkenntnis ist nicht an den Erwartungsmechanismus geknüpft, und den erinnerten Tatbeständen selber kommt der Charakter der objektiv gültigen Gesetzmäßigkeit hier keinesfalls zu. Für die Erkenntnis des empirischen Ich ist selbstverständlich mit der Erkenntnis jener realen unbewußten Gegenstände – streng genommen dürfen wir sie nicht einmal phänomenal nennen, da sie ja nicht gegenwärtiges Erlebnis sind – weit weniger geleistet als mit der der dinglichen: über die Gesetzmäßigkeit des Bewußtseinsverlaufs macht sie nichts aus. Insofern die realen unbewußten Gegenstände einmal selbst Erlebnisse, also bewußt im prägnanten Sinne waren, haben wir hier als unbewußt weniger die Gegenstände als die Art ihrer aktuellen Gegebenheit zu bezeichnen. Folgerecht spricht man denn auch von unbemerkter Erinnerung, nicht von unbemerktem Erinnerten. Da die betreffenden Tatbestände allesamt dem Bewußtseinszusammenhang zugehören, ordnen sie sich stets auch den unbewußten Dingen als deren Phänomene zu und lassen sich unter die gesetzmäßigen Dingbegriffe bringen; sind also keineswegs schlechthin isoliert, sondern vielmehr ist ihre Erkenntnis Stufe der Erkenntnis der unbewußten Dinglichkeit. Umgekehrt wird die Erkenntnis der unbewußten Dinglichkeit, da alles Dingliche ja in Phänomenalem fundiert ist, gehalten sein, auf die unbewußte Gegebenheit realer Inhalte zu rekurrieren, die somit, nach dem Schema der unbemerkten Erinnerung, für die Bildung der psychischen Dingbegriffe rechtsausweisende Bedeutung hat. Mit dem Rückgang auf jene realen unbewußten Tatbestände hat allerdings die Erkenntnis der psychischen
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