Gesammelte Werke
Dinglichkeit nie ihre Aufgabe erfüllt, da sie ja die Gesetze anzugeben hat, unter denen jene Fakten befaßt werden müssen.
Uns bleibt hier die nähere Betrachtung der Erkenntnis des Unbewußten als einer Aufgabe, die zwar nicht als positiv gelöst oder lösbar angesehen werden darf, deren Forderungen sich aber gleichwohl schrittweise und mit Gelingen nachkommen läßt. Der Begriff des Unbewußten als Aufgabe selbst zählt in gleicher Weise wie der Begriff der aufgegebenen materiellen Welt und wie die Frage nach dem Woher der – als solcher einsichtigen – transzendentalen Faktoren zu den wesentlichen
Grenzbestimmungen
von Erkenntnis überhaupt. Diese Grenzbestimmung, die fürs Räumliche und für den Ursprung der transzendentalen Faktoren längst vollzogen ist, auch für das Bereich des Psychischen im Sinne einer transzendentalen Systematik dogmenlos einsichtig zu machen, war eine der vornehmsten philosophischen Absichten dieser Untersuchung; eine nicht minder wichtige allerdings zu zeigen, wie wenig uns das Bewußtsein jener Grenze im Fortgang der wissenschaftlichen Bestimmung der Seele zu beirren brauchte. Ihr Erkenntniszweck vielmehr ist: zu verhüten, daß die Analyse des Bewußtseins in intelligible Welten ausschweift, deren Gedanke ihr verwehrt ist; die Widersprüche fernzuhalten, in die sie sich bei erfahrungstranszendentem Gebrauch notwendig verwickelt. An uns ist es nun zu zeigen, wie sich die transzendentale Methode als Begründung und Kanon einer positiven Erkenntnis der unbewußten Tatsachen bewährt. Dem soll das dritte Kapitel gewidmet sein.
Drittes Kapitel
Die Erkenntnis des Unbewußten und die psychoanalytische Methode
1. Psychoanalyse als erkenntnistheoretisches Problem
Wir hatten die Erkenntnis des Unbewußten als
Aufgabe
erkannt, deren Lösung wir zwar nicht als vollendet gegeben denken können, deren Ergebnisse uns jedoch im Rahmen der realen Gültigkeit der Definitionen unserer Forschungsgegenstände als gesichert gelten dürfen. Es bleibt uns übrig, die Methode zu betrachten, die uns befähigt, auf Grund unserer fundamentalen erkenntniskritischen Bestimmungen in strenger Konsequenz zu jenen Ergebnissen zu gelangen. Erst die Einsicht in diese Methode wird es uns möglich machen, den Zusammenhang jener Gegenstände untereinander zu begreifen und zu einer exakten Formulierung des Begriffs der psychischen Kausalität fortzuschreiten; weiter wird sie erst uns Aufschluß geben über den Zusammenhang der seelendinglichen Tatbestände mit der materiellen Welt, dessen erkenntnistheoretische Struktur wir bei der Betrachtung der Elemente der rationalen Seelenlehre herauszuarbeiten versucht hatten. Ohne daß unsere Absicht auf die Feststellung einzelner psychologischer Fakten gerichtet wäre, scheint es uns angezeigt, die Untersuchung der Methode, Unbewußtes zu erkennen, in enger Fühlung mit dem Vorgehen der psychologischen Forschung zu führen. War es doch eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Diskussion der Kantischen Paralogismenlehre, die Unterscheidung einer »reinen Seelenlehre« von einer »materialen Psychologie« als überflüssig und unzulässig aufzuweisen. Wir haben danach keinen Grund, eine Trennung zwischen der transzendentalen Methode der Erkenntnis des Unbewußten und der empirischen Methode, die das gleiche Ziel verfolgt, durchzuführen. Besteht die empirische Methode zu Recht, so muß sie sich transzendental ausweisen und all den Anforderungen genügen, die der transzendentale Idealismus dem Problem des Unbewußten gegenüber erhebt. Umgekehrt ist die transzendentale Analyse sinnvoll allein dann, wenn sie die positive Begründung des wissenschaftlichen Fortgangs der Erfahrung zu liefern vermag. Wenn freilich unsere erkenntnistheoretisch intendierte Untersuchung gerade an die junge und in vielen ihrer Resultate umstrittene Disziplin der
Psychoanalyse
anknüpft, so bedarf das einiger Rechtfertigung. Denn von allen psychologischen Methoden steht ihrem sachlichen Ausgang nach die Psychoanalyse der Erkenntnistheorie am fernsten. Während die experimentelle Psychologie von den ungelösten Problemen der Assoziationspsychologie ihren Antrieb empfing und selbst zur Zeit der Herrschaft naturalistischer Hypothesen den Zusammenhang mit der Kantischen Bewußtseinsanalyse wahrte; während umgekehrt ihr modernes Widerspiel, die Gestalttheorie, philosophisch mit der Kritik des Bruches zwischen Merkmalerkenntnis und Teleologie im Kantischen System einsetzte; während endlich die
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