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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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nur mittelbar gegeben sein. Die experimentelle Psychologie mußte sie darum von ihren Untersuchungen rundweg ausschließen oder ganz leugnen. Die ursprüngliche Beschränkung auf das phänomenale Gebiet ist der
Gestalttheorie
als Erbe der experimentellen Psychologie geblieben. Zwar der vordem atomistisch vernachlässigten Tatbestände der Einheit nahm sie sich energisch an. Allein der Wille, jener Tatbestände im Versuch habhaft zu werden, sie als »Selbstgegebenheiten« sicherzustellen – ein Versuch, der, wie wir uns oben allgemein überzeugen mußten, überflüssig und widerspruchsvoll ist –, jener Wille trieb die Gestalttheorie dazu, die komplexen unbewußten Tatbestände zwar herauszustellen, aber ihrerseits zu
phänomenalisieren.
Damit ist nicht allein unserem Postulat der ausweisenden Bewußtseinsanalyse widersprochen, sondern die Erfassung der dynamischen Beziehungen der psychischen Dinge, die hier ja Phänomene sein sollen, ganz unmöglich geworden, so daß der Gestalttheorie nichts anderes übrig blieb, als die Tatsache der Kausalität selbst als eine phänomenale zu interpretieren, wozu sie sich neuestens in der Tat entschlossen hat. Die Möglichkeit eines solchen Verfahrens (die wir bestreiten) hypothetisch einmal zugestanden: es wäre dann keinerlei Möglichkeit, zu einer objektiv gültigen Ordnung des Gegebenen zu gelangen, wenn alle die Faktoren, die Ordnung konstituieren, allein den Aufbau des Phänomenalen ergäben, und bei allen Tatbeständen mittelbarer Gegebenheit, die ja auch die Gestalttheorie nicht wegleugnen kann, »uminterpretiert«, also gewissermaßen gefälscht werden müßten. Es führte jene Auffassung zu einem Agnostizismus hinsichtlich des mittelbar Gegebenen, dem wir uns um so weniger zu unterwerfen haben, als wir ja tatsächlich eine gewisse und objektiv gültige Ordnung des mittelbar Gegebenen besitzen. Wir müssen darum im Gegensatz zur Gestalttheorie die Begründung der dynamischen Relationen zwischen den Seelendingen, ebenso wie die erkenntnistheoretische Konstitution der Seelendinge selbst, von der Analyse des Bewußtseinsverlaufs erwarten. Die Bestimmungen der
Charakterologie,
in ihrer der begrifflichen Analyse feindlichen Tendenz der Gestalttheorie verwandt, scheiden für eine strenge Erkenntnis des Unbewußten darum aus, weil sie eine ontologische Priorität der Seelendinge als der Eigenschaften des Charakters behaupten, die wir zurückweisen mußten, da wir in Seelendingen allein Abbreviaturen der Erlebniszusammenhänge sehen. Das Problem der Dynamik ist darum bereits aller Charakterologie entgegen, weil der Nachweis der Veränderlichkeit der seelischen Eigenschaften und der kausalen Gesetzmäßigkeit jener Veränderlichkeit allein schon den Anspruch ontologischer, erfahrungsunabhängiger Beständigkeit der Charaktereigenschaften bündig widerlegt.
    Forscht man nach der allgemeinen Begründung der Unzulänglichkeit der psychologischen Theorien den Problemen des Unbewußten gegenüber, so wird man, außer der Abneigung des neunzehnten Jahrhunderts gegen alle nicht quantitativ ausdrückbaren Tatbestände, vor allem der Furcht vor Verdinglichung zu gedenken haben; einer Furcht, die nicht minder ausgeprägt ist als umgekehrt die Tendenz, stets und überall zu verdinglichen. Die dinglichen Begriffsbildungen sind zeitlich im Bereich der objektiven Raumwelt früher als im psychischen Bereich. Die Tendenz der Verdinglichung betrifft darum zunächst vorwiegend Phänomene von materiellen Dingen, die jenen gleichgesetzt werden. Die Verdinglichung der psychischen Zusammenhänge und gar ihre wissenschaftliche Klärung und Legitimierung bedeutet demgegenüber eine späte Stufe des Erkenntnisprozesses. Sie wird verzögert von der Furcht, die psychischen Tatbestände mit den materiellen zu konfundieren, von denen alle Verdinglichung ihren Ausgang nimmt. Der gleiche Phänomenalismus, der hier helfen soll, das Psychische vom Physischen zu sondern – welche Sonderung ihrerseits ihren Ursprung in der Voraussetzung einer transzendenten Räumlichkeit haben mag –, der gleiche Phänomenalismus ist es, der die Diskussion der dynamischen Verhältnisse des Seelischen aus der wissenschaftlichen Psychologie ausschloß und der Phantasie der Charakterologen überließ. Wenn das Gewisse allein das unmittelbar Gegebene ist, während jene Dynamik nur mittelbar bekannt sein kann, so ist sie nach der landläufigen psychologischen Auffassung ungewiß. Es wird dabei, wie es im Sinne der psychologischen

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