Gesammelte Werke
Atomistik liegt, die noch die experimentelle Psychologie beherrscht, übersehen, daß der Aufbau der mittelbaren Gegebenheit durch die Analyse des Bewußtseins
zusammenhanges
völlig aufzuhellen ist und daß der Zusammenhang des Gegebenen zur Einheit des persönlichen Bewußtseins den mittelbar gegebenen Tatsachen die gleiche Dignität verleiht wie den unmittelbar bekannten, da die mittelbaren Gegebenheiten in völlig einsichtiger Weise in den unmittelbaren fundiert sind.
Eben die Tatsache der Vernachlässigung des Bewußtseinszusammenhanges als der konstitutiven Bedingung aller Erlebnisse ist es, die Freud zur Kritik der
Psychiatrie
führte und damit die psychoanalytische Methode inaugurierte. Die Psychiatrie, Nebenprodukt der experimentellen Psychologie, soweit sie nicht bloß vom ungewissen Erbe der medizinischen Tradition lebte, war atomistisch ganz und gar: und in einem Bereich, in dem atomistische Forschungsweise die aufgegebenen Probleme überhaupt nicht erreichen konnte. Bei den Geisteskrankheiten, deren physische Ursachen nicht etwa, wie bei der Paralyse, offen zutage liegen, wußte sie – und weiß heute noch – nichts anderes zu tun, als
Symptome
anzugeben und allenfalls zu klassifizieren, also Beobachtungen zu sammeln, die sie zwar zu vereinheitlichen trachtet, deren Bezogenheit auf die Einheit des persönlichen Bewußtseins aber ihr völlig fremd bleibt. Die Symptome, so genommen, wie die Psychiatrie sie nimmt, sind sinnlos und isoliert. Der Psychiater ist zwar in der Lage, die Symptome mit der äußeren Realität zu konfrontieren und einzuteilen nach der Art, wie sie sich zur äußeren Realität verhalten; er kann etwa von Wahnideen reden überall dort, wo ihm bei seinen Patienten Vorstellungen begegnen, die zwar nicht in sich widerspruchsvoll sind, die aber durch den Rekurs auf die Erfahrung widerlegt werden müßten, ohne daß es gelänge, durch diesen Rekurs beim Kranken die Vorstellungen zu widerlegen, selbst wenn er ihn willig vollzieht. Damit aber ist die Leistung der herkömmlichen Psychiatrie erschöpft. Auf die Frage, warum, wenn den Wahnideen kein Substrat in der materiellen Welt zugrunde liegt, sie sich bilden; warum sie sich so und nicht auf beliebig andere Weise bilden, kann der Psychiater nicht antworten. Er wird vielleicht, wie Freud in seinen »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« – denen wir, wo es sich um die Darstellung der psychoanalytischen Methode handelt, durchwegs folgen – ausführt, entgegnen: »Wahnideen kommen bei solchen Personen vor, in deren Familien ähnliche und andere psychische Störungen wiederholt vorgekommen sind« 22 , also wiederum auf Bedingungen rekurrieren, die nicht solche des Bewußtseinszusammenhanges des Patienten sind und aus denen weder das bestimmte Symptom sich ableiten noch der gesamte Zustand des Patienten sich einsichtig machen läßt. Da die Kenntnis der Bedingungen des Symptoms fehlt, kann sich an die Konstatierung des Tatbestandes auch keine gesetzmäßige Erwartung kommender Phänomene anschließen und eine Behandlung ist darum allein schon aussichtslos. Der Psychiater »muß sich mit der Diagnose« (d.h. der Rubrizierung des Symptoms) »und einer trotz reichlicher Erfahrung unsicheren« (nämlich aus vagen Analogieschlüssen gewonnenen) »Prognose des weiteren Verlaufes begnügen« (Vorl., 257).
Hier kann ›die Psychoanalyse mehr leisten‹ (Vorl., 258). Sie geht aus von dem Satz, daß
alles Psychische
einen
Sinn hat,
daß alles psychische Sein in gesetzmäßiger Weise durch den Zusammenhang des persönlichen Bewußtseins sich bestimmt oder, wie wir es nach unserer Bestimmung des Begriffs des Unbewußten auch formulieren dürfen, daß alle unsere Phänomene – all unser »Bewußtsein« im engeren prägnanten Sinn – Phänomene von
unbewußten Dingen
sind, deren Erkenntnis eben auf Grund der Erkenntnis des Bewußtseinszusammenhanges und seiner Gesetzlichkeit sich vollzieht. Die drei Hauptgruppen der Gegenstände psychoanalytischer Forschung umspannt die Forderung eines durchgehenden »Sinnes der Symptome«, dessen Erkenntnis identisch ist mit der Aufgabe der Erkenntnis des Unbewußten, deren Theorie hier geboten werden soll. Einen Sinn schreibt Freud zunächst sämtlichen
Fehlleistungen
(Versprechen, Vergessen, Verlieren usw.) zu, die er »psychische Akte« nennt (Vorl., 50), womit bei ihm nichts anderes gemeint ist, als daß sie in gesetzmäßiger und einsichtig zu machender Weise dem Bewußtseinszusammenhang angehören,
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