Gesammelte Werke
»Zum Wesen eines solchen Dingnoema gehören, und absolut einsichtig, ideale Möglichkeiten der
›Grenzenlosigkeit im Fortgange‹
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einstimmiger Anschauungen,
und zwar nach typisch bestimmt vorgezeichneten Richtungen.« 219 Die »Transzendenz« des Dinges »drückt sich in jenen Grenzenlosigkeiten im Fortgang der Anschauungen von ihm aus« 220 . »Es ist eine Wesenseinsicht, daß
jede
Wahrnehmung und Wahrnehmungsmannigfaltigkeit erweiterungsfähig, der Prozeß also ein endloser ist; demgemäß kann keine ... Erfassung des Dingwesens so vollständig sein, daß eine weitere Wahrnehmung ihr nicht noematisch Neues beifügen könnte. – Andererseits erfassen wir doch mit Evidenz und adäquat die ›Idee‹ Ding.« 221 »Auf Grund des exemplarischen Bewußtseins« der Grenzenlosigkeit »erfassen wir ferner die ›Idee‹ der bestimmten Unendlichkeitsrichtungen ... Wieder erfassen wir
die regionale ›Idee‹ des Dinges überhaupt
als des Identischen, sich in
so gearteten
bestimmten Unendlichkeiten des Ablaufs durchhaltend und in den zugehörigen ... Unendlichkeitsreihen von Noemen sich bekundend.« 222
Husserl fragt abschließend:
»Wie sind die zur Einheit des anschaulich vorstellenden Dingbewußtseins gehörigen Noesen und Noemen systematisch zu beschreiben?«
223 Seine Antwort lautet:
»Die regionale Idee
des Dinges, sein identisches X mit dem bestimmenden Sinnesgehalt, als seiend gesetzt –
schreibt Mannigfaltigkeiten von Erscheinungen Regeln
vor.
Das sagt: es sind nicht überhaupt Mannigfaltigkeiten zufällig zusammenkommende, wie ja schon daraus hervorgeht, daß sie in sich selbst, rein wesensmäßig, Beziehung auf das Ding, das bestimmte Ding, haben. Die Idee der Region« – die Idee »Ding überhaupt« – »schreibt ganz bestimmte, bestimmt geordnete, in infinitum fortschreitende, als ideale Gesamtheit genommen fest abgeschlossene Erscheinungsreihen vor, eine bestimmte innere Organisation ihrer Verläufe, die wesensmäßig und erforschbar zusammenhängt mit den Partialideen, die in der regionalen Dingidee als ihre Komponenten allgemein gezeichnet sind.« 224
Das positive Ergebnis der im Umriß wiedergegebenen Theorie wird man in der Korrektur zu sehen haben, die der Begriff des transzendenten Dinges an sich teilweise wenigstens erfahren hat. Wenn Husserl »transzendentes Sein« definiert als solches, »dessen ›Transzendenz‹ eben in der Unendlichkeit des noematischen Korrelats ... gelegen ist« 225 , wenn er mithin Dingliches nicht als unabhängig
vom
Bewußtsein, sondern als unausschöpflich
im
Bewußtsein verstanden wissen will, so scheint er in weitgehender Übereinstimmung mit den Resultaten der »Transcendentalen Systematik« sich zu befinden; auch durch deren abschließende Überlegungen »werden ... die Dinge an sich abermals zu – wenigstens teilweise –
unbekannten
Gegenständen: insofern nämlich, als die Möglichkeit neuer Erfahrungen stets die Erkenntnis neuer Eigenschaften der Dinge in Aussicht stellt. Da wir die unbegrenzten Möglichkeiten solcher Erfahrungen nicht vorauszusehen imstande sind, bleiben die Dinge uns immer teilweis fremd – eine Fremdheit, die sich bis ins Gespensterhafte steigern kann.« 226 Indessen soweit diese Übereinstimmung reichen mag, sie hat ihre bestimmten Grenzen. Vom Ansatz einer transzendenten Dingwelt nämlich macht sich Husserl trotz allem nicht frei; allein die Loslösung seiner vernunfttheoretischen Begründung des Dingbegriffs von der eigentlich phänomenologischen Deskription zeugt dafür. Das transzendente Ding an sich bleibt bei Husserl erhalten – allerdings ähnlich wie in der Marburger Kantschule zum bloßen
Grenzbegriff
verdünnt. Bei der Kritik dieser Auffassung sollen uns die Sätze leiten, die in der »Transcendentalen Systematik« der Rede von der teilweisen Unbekanntheit der Gegenstände ergänzend beigefügt sind: »Die naturalistische Gewohnheit, die Dinge mit allen ihren Eigenschaften als
fertig gegebene
Wesen vorauszusetzen, würde dazu führen, diese unendliche Fülle der Möglichkeiten als im Ding vollendet gegeben zu betrachten; d.h. sie würde zu einem logischen Widerspruch führen, weil das Unendliche eben seinem Begriffe nach dasjenige ist, was niemals als vollendet gegeben gedacht werden kann. Unbegrenzte Möglichkeiten zu umspannen gelingt nur in Form des Gesetzes, das nicht den Begriff der vollendeten Unendlichkeit in sich schließt.« 227 Bevor wir jedoch dem Sinn des Unterschiedes uns zuwenden, der darin liegt, daß
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