Gesammelte Werke
genötigt, eines Begriffspaars, dessen wir nicht bedürfen, da wir in vollständiger Disjunktion die mittelbar gegebenen Gegenstände in reale und ideale eingeteilt haben.
Die Scheidung von adäquater und inadäquater Evidenz aber kann Husserl nur gewinnen, indem er wiederum dingliches Sein supponiert, das sich in »einseitiger, unvollkommener Erscheinung« abschatte, während doch das Verhältnis des Dinges zu seinen Phänomenen einzig auf Grund des
Phänomenalen
bestimmt werden kann. Man wird Husserls Satz, daß
»keine auf solch einer inadäquat gebenden Erscheinung beruhende Vernunftsetzung ›endgültig‹«
235 sei, d.h. daß »die Möglichkeit neuer Erfahrungen stets die Erkenntnis neuer Eigenschaften der Dinge in Aussicht stellt« 236 , willig anerkennen; in ihm gerade ist eine wesentliche Korrektur verschiedener Irrtümer enthalten; so der Auffassung, daß Dinge »leibhaft«, d.h. unmittelbar gegeben sein könnten; der trügerische »Abgrund des Sinnes« zwischen »Bewußtsein« und »Realität« scheint überwunden in dem Augenblick, da das Ding als Regel der Erscheinungen erkannt wird. Aber wir vermögen Husserl nicht zu folgen, wenn er lehrt, es entspreche
»jedem ›wahrhaft seienden‹ Gegenstand
die
Idee eines möglichen Bewußtseins,
in welchem der Gegenstand selbst
originär
und dabei
vollkommen adäquat
erfaßbar ist« 237 . Originär kann ein Ding überhaupt nicht gegeben sein, sondern stets nur mittelbar, oft genug weist Husserl selbst darauf hin, am nachdrücklichsten mit den Worten: »Es zeigt sich ..., daß so etwas wie Raumdingliches nicht bloß für uns Menschen, sondern auch für Gott – als den idealen Repräsentanten der absoluten Erkenntnis – nur anschaubar ist durch Erscheinungen, in denen es ›perspektivisch‹ in mannigfaltigen aber bestimmten Weisen wechselnd und dabei in wechselnden ›Orientierungen‹ gegeben ist und gegeben sein muß.« 238 Und wie steht es mit der »Adäquatheit«?
Wir
hatten des Begriffs der adäquaten Evidenz überhaupt nicht bedurft; Husserl mußte ihn nur einführen, weil sein Begriff der originär gebenden Anschauung nicht zulangte. Wenn – nach Husserls eigenen Worten – auch für den »idealen Repräsentanten der absoluten Erkenntnis« Raumdingliches »nur anschaubar ist durch Erscheinungen«, so besagt das doch zugleich, daß es nicht adäquat gegeben sein kann. Wie aber kommt man zur »Idee eines originären und adäquaten Bewußtseins von Dingen«, wenn man solches Bewußtsein dem »idealen Repräsentanten vollkommener Erkenntnis« bestreitet? Indessen sind wir nicht darauf angewiesen, uns auf den Widerspruch in Husserls Theorie zu stützen. Husserl glaubt den Widerspruch (den er übrigens nicht in ganzer Schärfe sieht) dadurch beseitigt, daß er lehrt, trotzdem jedes Bewußtsein von Dinglichem inadäquat sei, sei als »Idee« im Kantischen Sinne gleichwohl die vollkommene Gegebenheit vorgezeichnet. Diese »Idee« aber ist möglich nur auf Grund der Voraussetzung eines vollendet gegebenen Unendlichen – das eben nicht vollendet gegeben gedacht werden kann. Hier tritt bei Husserl die Supposition dinglicher Transzendenz nochmals zutage. Denn nur wenn das Ding vorausgesetzt wird – wenngleich als nie in seiner Erscheinung als vollendet gegeben – läßt sich die vollendete Gegebenheit des Dinges als Aufgabe fordern, als »Idee« aufstellen; für eine vom Phänomenalen ausgehende Betrachtung ist das Ding (das Individualgesetz) selbst »ideal«, das Ding und die »Idee des Dinges« sind dasselbe. Der Unterschied der Auffassung, auf den wir hier stoßen, ist der gleiche, der zwischen der »Transcendentalen Systematik« und Kants Lehre vom »transzendentalen Gegenstand als Regel für die Erscheinungen« besteht. Wie für Kant ist für Husserl »das transzendentale Objekt ein X« 239 ; für Husserl ist die »Idee« des Dinges ein von dem erkannten Individualgesetz verschiedenes, die selbst unbekannte Regel der Erscheinungen, bewußtseinsunabhängig und im transzendenten Ding vollendet gegeben. Für uns aber gibt es keine »Idee des Dinges« in Husserls Sinn; das Ding ist ideal, das gleiche wie das erkannte Individualgesetz, erkannt als Regel der Erscheinungen, bewußtseinsimmanent und der Korrektur unterworfen. Husserls Satz: »In einem Falle ist das Sein ›immanentes‹ Sein, Sein als abgeschlossenes Erlebnis oder noematisches Erlebniskorrelat; im anderen Falle transzendentes Sein, d.i. Sein, dessen ›Transzendenz‹ eben in der Unendlichkeit des
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