Gesammelte Werke
ja das »vernunfttheoretische« Problem an. Durch die Loslösung des mittelbar Gegebenen von seiner Gegebenheitsweise ist die Frage nach der »Wirklichkeit« überhaupt erst möglich. Wird die Wahrheit eines dinglichen Urteils danach bemessen, ob bei Erfüllung der vom Urteil geforderten Bedingungen die gesetzmäßig erwarteten und behaupteten Erscheinungen eintreten oder nicht, dann knüpfen wir eben die Wahrheit des Urteils an die Stellung, die sein Inhalt im Bewußtseinszusammenhang einnimmt – also nach Husserl an das »Wie der Gegebenheitsweise«. Husserl aber meint über die Wahrheit eines Urteils etwas ausmachen zu können ohne Rücksicht auf seine Stellung im Bewußtseinszusammenhang; und da es sich ja auch bei Husserls Dingnoema nicht um das naturalistische Ding an sich, sondern um ein »Gedankending« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« handeln soll, so wird für Husserl die Wahrheit dinglicher Urteile zu einem Problem, das, paradox genug, unabhängig vom Bewußtseinszusammenhang erwachsen und doch auf Grund des Bewußtseinszusammenhanges gelöst werden soll. Diesen Widersinn klar zu erkennen ist not.
Husserls Frage: Ist das als identisch bewußte Ding »wirklich dasselbe und ist der Gegenstand selbst ›wirklich‹?« 231 , könnte also von uns gar nicht gestellt werden. Nicht bloß die naturalistische Redeweise schreckt uns. Was würde es denn für uns heißen, daß ein als identisch bewußtes Ding nicht dasselbe sei? Vorausgesetzt, daß der behauptete individualgesetzliche Zusammenhang einmal zu Recht erkannt wurde oder, wie wir dafür sagen können, daß das Ding existierte, so bedeutete es doch nur, daß jetzt bei Erfüllung der geforderten Bedingungen die erwarteten Erscheinungen nicht eintreten, daß das Ding eine »veränderte Eigenschaft« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« aufweist, die es gesetzmäßig zu begreifen gilt 232 . Die kausale Gesetzlichkeit aber ist auch ihrerseits wieder nur aus dem Zusammenhang des Gegebenen zu erklären. Wenn also, wie Husserl sagt, der Gegenstand
notwendig bewußt
ist als derselbe, d.h. wenn die im Rahmen des Individualgesetzes erwarteten Erscheinungen eintreten, dann
ist
er auch derselbe. Wenn das Individualgesetz gilt, dann ist das Ding auch »wirklich« – wenn anders man es nicht vorzieht, wie wir, das Wort »real« allein den
unmittelbaren
Gegebenheiten vorzubehalten. Jede Rede von der »Wirklichkeit« des Dinges, die sich nicht im Zusammenhang des Gegebenen ausweist, ist metaphysische Spekulation oder naturalistisches Vorurteil.
Wir wären demnach nicht eigentlich gehalten, Husserls Lösung des »Realitätsproblems« einer besonderen Kritik zu unterziehen. Allein das zirkelschlüssige Verfahren, das Husserl die Konstitution von »Transzendenzen« im Bewußtsein untersuchen läßt, korrigiert zum Teil den Ansatz dieser Transzendenzen, ein Fehler hebt gewissermaßen den anderen auf. Darum ist seiner Lösung selbst in Kürze nachzugehen.
Es wurde bereits angedeutet, daß Husserls Begriff der originär gebenden Anschauung, den er der »Rechtsprechung der Vernunft« zugrunde legt, nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist unserem Begriff des unmittelbar Gegebenen. Husserl nennt etwa ein Erinnerungserlebnis »nicht originär gebend« 233 ; wir würden das Erinnerungs
erlebnis
»unmittelbar gegeben«, das Erinnerte »mittelbar gegeben« nennen. Husserls Unterscheidung geht in anderer Richtung als die unsere: er möchte nur die »Eindrucksbestandteile« (Erlebnisteile der Klasse a) als originär gegeben bezeichnen; da ihm aber – wie eingangs erörtert – auch die Eindrucksbestandteile »Bewußtsein von etwas« sind, so heißen sie nicht »originär gegeben«, sondern »originär gebend«. Diese scheinbar geringfügige Abweichung von der »Transcendentalen Systematik« hat die weitestgehenden Folgen. Sie kommen am Problem der »Unbestimmtheit des mittelbar Gegebenen« sogleich zutage. Denn die in »primitiven Begriffen« 234 gegebenen Gegenstände können
nur
mittelbar gegeben sein; da aber Husserl anstelle des unmittelbaren Gegebenseins der Erlebnisse nur die originäre Gegebenheit von Eindrucksbestandteilen kennt, so kann er die in primitiven Begriffen gegebenen Gegenstände (die prinzipiell nur als intentionale Inhalte von a-Erlebnissen sich finden) auf Grund seines Begriffes der »originären Gegebenheit« schlechterdings nicht bestimmen. Er sieht sich darum zur Einführung des Begriffspaars von adäquater und inadäquater Evidenz
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