Gesammelte Werke
muß durch entsprechende mit mehr oder minder anschaulichem Gehalt erfüllte Sinne, bzw. Sätze« 193 (Urteile). Damit glaubt Husserl die letzte Begründung gegeben dafür, daß alles Ausgeschaltete mit »Vorzeichenänderung« in das Bereich der Phänomenologie gehöre 194 . Denn »die realen und idealen Wirklichkeiten, die der Ausschaltung verfallen, sind in der phänomenologischen Sphäre vertreten durch die ihnen entsprechenden Gesamtmannigfaltigkeiten von Sinnen und Sätzen« 195 . Z.B. soll sein »jedes wirkliche Ding der Natur vertreten durch all die Sinne und wechselnd erfüllten Sätze, in denen es, als so und so bestimmtes und weiter zu bestimmendes, das Korrelat möglicher intentionaler Erlebnisse ist; also vertreten durch die Mannigfaltigkeiten ›voller Kerne‹, oder, was hier dasselbe besagt, aller möglichen ›subjektiven Erscheinungsweisen‹, in denen es als identisches noematisch konstituiert sein kann« 196 . Der Einheit dieses Dinges »steht« – entsprechend der Theorie von Abgeschattetem und Abschattung – »gegenüber eine unendliche ideale Mannigfaltigkeit noetischer Erlebnisse eines ganz bestimmten und trotz der Unendlichkeit übersehbaren Wesensgehaltes, alle darin einig, Bewußtsein von ›demselben‹ zu sein. Diese Einigkeit kommt in der Bewußtseinssphäre selbst zur Gegebenheit, in Erlebnissen, die ihrerseits wieder zu der Gruppe mitgehören« 197 , die Husserl als Gruppe der Noesen abgegrenzt hat. Der Gegenstand, »das X in den verschiedenen Akten, bzw. Aktnoemen mit verschiedenem ›Bestimmungsgehalt‹ ausgestattet, ist notwendig bewußt als dasselbe. Aber
ist es wirklich dasselbe?
Und
ist der Gegenstand selbst ›wirklich‹?
Könnte er nicht unwirklich sein, während doch die mannigfaltigen einstimmigen und sogar anschauungserfüllten Sätze ... bewußtseinsmäßig abliefen?« 198
Den Weg zur Lösung meint Husserl zu zeigen in den Sätzen: »Das Bewußtsein, bzw. Bewußtseinssubjekt selbst,
urteilt
über Wirklichkeit, fragt nach ihr, vermutet, bezweifelt sie, entscheidet den Zweifel und vollzieht dabei
›Rechtsprechungen der Vernunft‹.
Muß sich nicht im Wesenszusammenhang des transzendentalen Bewußtseins, also rein phänomenologisch, das Wesen dieses Rechtes und korrelativ das Wesen der ›Wirklichkeit‹ – bezogen auf alle Arten von Gegenständen ... – zur Klarheit bringen lassen?« 199 »Die Frage ist also, wie in phänomenologischer Wissenschaftlichkeit all die Bewußtseinszusammenhänge noetisch bzw. noematisch zu beschreiben sind, die einen Gegenstand schlechthin (was im Sinne der gewöhnlichen Rede immer einen
wirklichen
Gegenstand besagt), eben in seiner Wirklichkeit notwendig machen.« 200
Mit dieser Frage kehrt Husserl zum Ausgangsgrunde seiner Phänomenologie zurück; zum Ausgangsgrunde auch unserer Kritik, zum Begriff der unmittelbaren Gegebenheit, der »originär gebenden Anschauung«; freilich in einer von unserer Auffassung wesentlich abweichenden Gestalt: »Was immer man ... von den Gegenständen ausspricht – spricht man vernünftig – so muß sich das dabei wie Gemeinte so Ausgesagte
›begründen‹, ›ausweisen‹,
direkt
›sehen‹
oder
mittelbar ›einsehen‹
lassen.
Prinzipiell stehen ... ›wahrhaft-‹ oder ›wirklich-sein‹ und
›vernünftig ausweisbar-sein‹ in Korrelation.« 201
»Ein spezifischer Vernunftcharakter ist ... dem Setzungscharakter zu eigen«
– in unserer Sprache: ein Urteil ist wahr – »als eine
Auszeichnung,
die ihm
wesensmäßig dann und nur dann
zukommt, wenn er Setzung auf Grund eines ... originär gebenden Sinnes ... ist.« 202 »Die Setzung hat in der originären Gegebenheit ihren
ursprünglichen Rechtsgrund.
« 203 »Für jede durch eine Motivationsbeziehung auf die Originarität der Gegebenheit charakterisierte Vernunftthesis« – in unserer Sprache: für jedes in unmittelbar Gegebenem fundierte Urteil – wählt Husserl den Ausdruck
»originäre Evidenz«
204 .
Dem Unterschied von »realen« und »idealen« mittelbaren Gegebenheiten im Sinne der »Transcendentalen Systematik«, der in der Lehre vom Noema nicht scharf hervortrat und fälschlich in die »Kontrastierung von noetischen und noematischen Formenlehren« mitaufgenommen wurde – diesem Unterschied sucht Husserl gerecht zu werden durch die Unterscheidung von adäquater und inadäquater Evidenz. »Die Setzung auf Grund der leibhaftigen Erscheinung des
Dinges
ist zwar eine vernünftige, aber die Erscheinung ist immer nur eine einseitige,
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