Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
Vom Netzwerk:
zum Mittelstück, wieder beseitigt wird (vgl. auch schon S. 89 oben). – Trotzdem gibt es auch in diesem erstaunliche Beobachtungen; so die, daß der eidetischen Phänomenologie Historisches prinzipiell verschlossen ist (58), oder die fast Hegelsche Formulierung gegen den »Erlebnisstrom«, daß wir »ohne daß wir einen Inhalt als denselben Inhalt oder in der Form der Identität denken, ... überhaupt nichts von ihm aussagen ... können. Sogar der Gedanke des ›Flusses‹ muß Identität erst voraussetzen, um sie dann ›aufzuheben‹« (67). Die Beschreibung der vorgegenständlichen Unmittelbarkeit als »Zustand« jedoch indiziert die Beschränktheit dieses kritischen Gedankens in der Gestalt, die er bei Rickert annimmt: in der Identität des »Zustandes« erstarrt das Werden, und es gebricht dem deskriptiven Zustandsbegriff bei Rickert eben an jenem Vermögen, sich selber aufzuheben, dessen Programm er anmeldet.
    Die Schlußabhandlung legt sich die nicht ganz bescheidene Frage vor: »Wie kommen wir zu einer Erkenntnis der intelligiblen Welt in ihrer Eigenart, wenn wir versuchen, sie begrifflich von der sensiblen Welt so weit wie möglich zu trennen, und welche Stelle nimmt der so erfaßte kosmos noëtos dann im Ganzen der Welt überhaupt ein?« (114) Einer solchen Frage ist der Formalismus jeder möglichen Antwort auf die Stirn geschrieben. Zunächst gibt es eine Kritik der Platonischen Ideenlehre, die erst in eine Metaphysik des »verstehbaren« Seins umgedeutet und dann um dessen Transzendenz willen abgelehnt wird, der Rickert die problematische »Unmittelbarkeit« des Intelligibeln kontrastiert. Es folgt die Diltheypolemik, die den objektiven Geist urgiert und die Zeitlosigkeit der Noemata gegen die »psychischen Gebilde« ausspielt: »Wir sollten endlich lernen, das psychische Sein der einzelnen Individuen, die wahrnehmen oder verstehen, konsequent von dem Gehalt zu trennen, der dadurch erfaßt, also wahrgenommen und verstanden wird, und der eventuell weit über alles Seelenleben der Individuen hinausreicht« (132). Das Kapitel enthält – man traut den Augen kaum – eine Fußnote über Proust, von dem Rickert durch Curtius vernommen hat; an ihrem rührenden Schlußpassus hätte der Belobte seine Freude gehabt: »Sollte hier die Poesie der Wissenschaft vorangehen und ihr die Wege weisen?« (134) Seltsam die Ahnung des Ahnungslosen, der der stummen Körperwelt, der Trägerin intelligibler Bedeutungen, »Sprache und Antlitz« zuschreibt, die Objektivität des Ausdrucks weit über das Bereich menschlicher Signa hinaus behauptet und schließlich davon spricht, »daß das sinnliche Material, welches wir brauchen, um an ihm den Stoff zur Erkenntnis der intelligiblen Welt zu finden, stets allegorisch sein muß.« (147) Die Physiognomik des objektiven Geistes ist dem Neukantianismus nicht an der Wiege gesungen worden. Ihrer Sphäre gehören genuine sprach- und musikphilosophische Erfahrungen an. Etwa: daß »der poetische Gehalt jedes Wortgefüges, das wir ein Gedicht nennen, so wenig im Wahrnehmbaren« (scil. den sinnlich vorgestellten Wortbedeutungen) »sich erschöpft wie der theoretische Gehalt eines wissenschaftlichen Satzes« (149) – der Grundgedanke des bedeutenden und ganz vergessenen Buches von Theodor A. Meyer über das »Stilgesetz der Poesie« (1901). Oder: »Zumal in dem Sinn einer Melodie zeigen die Bedeutungen der einzelnen Töne ein analoges Verhältnis zu dem Ganzen des musikalischen Gefüges, wie die Bedeutungen der einzelnen Worte es zu dem Sinnganzen eines Gedichtes haben.« (150) Nimmt man das zusammen mit der Bestimmung, daß die Musik »als Körper aus Tönen zusammengesetzt« sei, »die nicht als Worte auftreten« (ibd.), so liegt darin nicht weniger denn die Konzeption der Musik als intentionsloser Sprache. Um solcher Funde willen vergißt man gern, daß Rickerts Lehre von den Sinngebilden schließlich seine Werttheorie aufwärmt mit der tristen Begründung, es sei alles logisch oder ästhetisch Intelligible wertvoll oder wertlos.
    Auffällig an dem Buch ist die Konfiguration von Scharfsinn und Denkschwäche. Rickert hat das Verdienst, um Härte und Präzision des Begriffs in einem Bereich sich zu mühen, das sonst als ›Leben‹ schutzlos dem Geschwätz überantwortet wird. Aber stets wieder versagen die Prägungen: sei's durch Leere, sei's durch offensichtliche Fehler wie im Fall der »Unmittelbarkeit« des Intelligiblen. Das hat doch wohl sachliche Ursachen. Als Feind des

Weitere Kostenlose Bücher