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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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entwickeln. Statt dessen vergißt Lukács sogleich an die Problematik der Verdinglichung, an die eine solche Analyse anzuschließen wäre, und bezieht selber einen verdinglichten Standpunkt, in dem die Kategorien Sein und Bewußtsein unvermittelt, vorgegeben erscheinen, als wäre die Rede von Dialektik im Marxismus überhaupt nicht ernst gemeint. Ja, jeder Versuch einer dialektischen Ansicht vom Verhältnis von Subjekt und Objekt – die einzig mögliche Methode, theoretisch über die philosophische Verdinglichung hinauszugehen – verfällt dem Bannspruch. Die marxistische Einsicht vom Vorrang der objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem subjektiven Bewußtsein wird in einen statischen Dualismus pervertiert, der, paradox genug, vermöge des Chorismos von Sein und Bewußtsein in der Konsequenz nicht weniger ontologisch sich anläßt als die Heideggersche Metaphysik. Der Versuch der Vermittlung von Subjekt und Objekt, das Kernstück einer jeglichen Dialektik, das in der Marxischen Theorie sehr wohl aufgehoben ist, wird diffamiert, als handle es sich dabei um einen bürgerlichen Kompromiß und nicht um eine Konsequenz des Gedankens, die mit dem Subjekt der Erkenntnis schließlich auch dem der spontanen Praxis ans Leben geht und notwendig zum konformistischen Einverständnis mit jener objektiven Tendenz entartet, auf welche die je herrschende Praxis so leicht sich berufen kann. So legitim Lukács' Widerwille gegen einen ›dritten Weg‹ ist, der einerseits idealistisch, andererseits materialistisch sich rechtfertigen möchte, so absurd ist es, als solchen akademischen Ausweg das dialektische Prinzip selber zu verspotten, da ohne Subjekt, ohne das Moment der Reflexion und Negativität die Rede vom dialektischen Prozeß sich hoffnungslos verfängt. Das ist keine genetische sondern eine logische Frage: dem nicht reflektierten, nicht durchs Bewußtsein hindurchgegangenen und dadurch in seiner Bedürftigkeit bestimmten Sein eine Dialektik zuzuschreiben, wäre so dogmatisch wie nur irgendeine der Aussagen über das Sein als solches, mit denen Heideggers Philosophie aufwartet. Die Marxische Lehre von der Priorität des Seins übers Bewußtsein will aber gerade nicht ontologisch verstanden werden, sondern als Ausdruck eines Negativen, nämlich eben der Vorherrschaft der Verdinglichung, der Produktionsverhältnisse, in welche die Menschen »unfreiwillig eintreten«. Aus solcher Priorität ein philosophisches Prinzip zu machen, heißt unweigerlich apologetisch dem Seienden absoluten Vorrang zu erteilen, endlich auch gegenüber der Praxis, die im Ernst mit einer Verdinglichung aufräumen möchte, wie sie im Abbruch der Dialektik bei Lukács theoretisch zum zweiten Mal etabliert wird. In der Tat zeigt Lukács' Aufsatz mehr als bloß die Möglichkeit solcher Wendung. Während Heidegger vors Tribunal gefordert wird, widerfährt der von Lukács gut charakterisierten »Theologie ohne Gott« (46) ein Respekt, der in der Disziplin der Sache selbst rasch zerginge. Es ergibt sich die einigermaßen groteske Situation, daß, während der bürgerliche Heidegger, wie sehr auch mit verschobenen Akzenten, die Kategorie der Verdinglichung kritisch auf die sogenannten großen Denker, das ›Erbe‹ von Platon und Aristoteles anwendet, der Marxist Lukács eine solche Kritik perhorresziert, weil sie der Geschichte des Geistes und schließlich der realen Menschheit zu wenig Ehre antue. So verdächtig nun das mythologisierende ›Zu den Ursprüngen‹ Heideggers, das er übrigens mit der gesamten Phänomenologie teilt, bleibt, so fraglos ist doch gerade in seiner Kritik an der großen Philosophie ein Moment von Wahrheit, das Lukács am letzten verkennen dürfte: daß nämlich jene Denker, Exponenten bürgerlichstädtischer Zivilisation, durchaus schon Momente jener in den Produktionsverhältnissen gründenden Verdinglichung des Bewußtseins und seiner Zurichtung zu Herrschaftszwecken zeigen, die nur eine stur historistische Betrachtungsweise erst aufs 17. Jahrhundert zurückdatiert. Der Nihilist Heidegger – sein Nihilismus wird von Lukács' Geschichtsfreudigkeit unbesehen als Schimpfwort verwandt – steht in gewisser Weise der bürgerlichen Vergangenheit freier gegenüber als sein Klassengegner, mag auch diese Freiheit, als Überspannung dessen, was dem philosophischen Geist zu leisten obliegt, schließlich auf die Sabotage am Bewußtsein selber herauskommen. – Wenn schließlich Lukács Heidegger vorwirft, was abermals gegen

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