Gesammelte Werke
sind, gehören dem Bereich jener Mystik an, die zu ›erzählen‹ zugleich Scholems eigene metaphysische Intention bildet, und die beide in ihrer Jugend gemeinsam erfahren haben.
Es darf angemerkt werden, daß die Vorlesungen Scholems im Rahmen der Loeb Lectures stattfinden, die es der Frankfurter Philosophischen Fakultät ermöglicht haben, Vorlesungen und Vorträge über Geschichte, Religion und Philosophie des Judentums abzuhalten. Diese Vorlesungen, von Max Horkheimer in die Wege geleitet, sind unterdessen zu einer ständigen und weithin beachteten Institution des Frankfurter akademischen Lehrbetriebes geworden, ohne daß die Teilnahme an diesen Veranstaltungen auf den Studenten- und Hörerkreis im mindesten beschränkt wäre. Sie ergänzen die Vorlesungen und Seminare über katholische und protestantische theologische und philosophische Lehren innerhalb der Philosophischen Fakultät. Indem sie die in Deutschland rasch verschüttete Kenntnis jüdischen Geistes wieder ins Bewußtsein heben, erfüllen sie zugleich eine geisteswissenschaftliche und eine im höheren Sinne geistespolitische Funktion. Dozenten wie der verstorbene Leo Baeck, der Oxfordtheologe Daube, H.G. Adler, der Autor des großen deutschen Werkes über Theresienstadt, E. Voegelin, der neue Ordinarius für politische Wissenschaften an der Münchener Universität, jüngst der Scholemschüler I.G. Weiß, haben sich, neben zahlreichen anderen, an den Loeb Lectures beteiligt. Eine Vorlesung von Martin Buber über »Züge des biblischen Gottesbildes« steht unmittelbar bevor.
1957
Gruß an Gershom G. Scholem
Zum 70. Geburtstag: 5. Dezember 1967
Meine älteste Erinnerung an Scholem geht auf die frühen zwanziger Jahre zurück. Mir war wohl schon seine Freundschaft mit Benjamin bekannt. Das würde das Datum später als 1923 fixieren; doch mag ich mich täuschen und ihn ganz unabhängig von Benjamin getroffen haben. Überhaupt dürfte mein Gedächtnis daran viel Rückphantasie enthalten. Jedenfalls war der Schauplatz das Frankfurter Bürgerhospital; mir will scheinen, dessen Garten. Er trug einen Bademantel, wofern ich diesen nicht nachträglich hinzuerfand, in Assoziation zum Eindruck eines Beduinenfürsten, den er mir mit seinen brennenden Augen machte, zu einer Zeit, da mir die Verhältnisse im vorderen Orient selig unbekannt waren. Solcher Ahnungslosigkeit war zuzuschreiben, daß ich ihm naseweis sagte, ich beneidete ihn wegen seiner bevorstehenden palästinensischen Reise – es war nicht weniger als die Auswanderung –; ich stellte mir die arabischen Mädchen, mit kupfernen Ketten um die schlanken Fußgelenke, so reizvoll vor. Scholem antwortete mir, in jenem wahrhaft bodenständigen Berlinisch, das er auch in den fünfundvierzig Jahren Zion sich bewahrte und dem der große Hebraist, einem on-dit zufolge, selbst in seiner hebräischen Aussprache die Treue hält: »Na, dann könnten Sie leicht ein Messer zwischen die Rippen kriegen.« Es war meine erste Information über den Konflikt, von dem heute die Welt widerhallt. Scholem hatte keine Angst vor ihm: Beweis des ebenso unerbittlichen wie unpathetischen Ernstes, mit dem er seine theologisch-politischen Positionen zu denen seines empirischen Daseins machte. Fraglos verzichtete er dabei auf ungezählte Möglichkeiten, die seine glanzvolle Begabung ihm bot. In ihr finden Scharfsinn, abgründig spekulativer Hang und Breite der gelehrten Kenntnis einzigartig sich zusammen. Seine Kenntnisse dürften ihresgleichen suchen; sie erstrecken, über den jüdischen Gesamtbereich hinaus, sich auf die Orientalistik und ebenso auf die Mathematik, übrigens ohne daß er darum am zahlenmystischen Aspekt der jüdischen Esoterik viel Interesse nähme.
Von jenem ersten Treffen brachte ich das Gefühl einer paradoxen Einheit des unbestechlich Sachlichen und des metaphysisch Bewegten mit, das dann immer reicher mir sich entfaltete; nicht weniger aber das eines Menschen von so reinem Willen, wie er mir kaum an einem anderen begegnete. Danach habe ich ihn fünfzehn Jahre nicht gesehen. Wir wechselten keine Briefe; er hatte keinen Anlaß, den blutjungen Studenten zu beachten. Immerhin erfuhr ich stets wieder einiges über ihn durch Benjamin, wohl auch durch Kracauer, der bei jenem ersten Treffen zugegen gewesen war. Während der Emigration schließlich kündigte mir Benjamin aus Paris seinen Besuch in New York an. Über die erste Zusammenkunft dort habe ich Benjamin in einem Brief vom 4. Mai 1938 berichtet,
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