Gesammelte Werke
verwiesen ist, zugleich aber die logischen Kategorien und Prinzipien, die in der Grammatik sich niedergeschlagen haben, nicht als absolut respektiert, geht er über zum ›parodischen‹ Gebrauch von Sprache und Logik. Der gilt Krüger für das Modell aphoristischen Denkens. Der Aphorismus verwendet Sprache und Wissensprinzipien nicht so, wie sie sich von sich aus meinen: er macht sie uneigentlich und sich selber fremd. Er ist das entfaltete Nichtwissen, das die äußerste Reflexion des Wissens voraussetzt. Dabei nimmt er regelhaft die Form der Ausnahme an, an der Regel und begriffliche Systematik scheitern. Die Ausnahme fungiert als Korrektiv: der Aphorismus »nimmt etwas aus dem Horizont des Bewußtseins heraus«, setzt die eingeschliffene und auch nützliche Ansicht vom Sachverhalt in Frage. Er möchte etwas von der Deformation wieder gut machen, welche der herrschaftliche Geist dem Gedachten antut. Er zielt auf die Negation abschlußhaften Denkens; er terminiert nicht im Urteil, sondern ist die konkrete Gestalt, in der die Bewegung des Begriffs sich darstellt, der des Systems sich entschlug.
Das aphoristische Denken war von je nichtkonformistisch. Darum ist es bei den Wissenschaften und der offiziellen Philosophie in Verruf geraten, ist als unverbindlich, unverantwortlich, feuilletonistisch diffamiert worden. Und wie das Verfolgte selten durch Verfolgung besser wird, so hat das aphoristische Denken, abgetrennt von geistiger Verantwortlichkeit und bar der Autorität stringenten Vortrags, vielfach etwas von den apokryphen Zügen angenommen, die ihm vorgeworfen werden. Indem Krüger, im Sinne einer philosophischen ›Rettung‹, den philosophischen Sinn der Form entfaltet, stärkt er nicht bloß den Widerstand gegen das Einverständnis mit den traditionellen Bewußtseinsformen, sondern ermutigt auch das aphoristische Denken zu seinem Verfahren und hält ihm den eigenen strengen Maßstab vor.
Die philosophische Arbeit dieses Autors, der kein Philosoph von Fach war, aber, einmal von der Philosophie ergriffen, weit über seine Fachbildung hinausgetrieben wurde und philosophisches Verständnis kraft des eigenen Gedankens sich aneignete, fördert offenes, entfesseltes Denken: sie benennt das Prinzip dessen, was die Prinzipien negiert. Sie bietet mehr als bloß einen wissenschaftlichen Beitrag: ein Stück erfahrener Freiheit. Daran soll so wenig vergessen werden wie an den Menschen, der sich die Wärme und Kraft zu solcher Erfahrung nicht verkümmern ließ.
1956
Fußnoten
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Vgl. Heinz Krüger, Studien über den Aphorismus als philosophische Form, Frankfurt a.M. 1957.
Gershom G. Scholem
Scholem spricht in den »Loeb Lectures«
Auf die Vorträge von Gershom Gerhard Scholem, Professor der Jüdischen Mystik in Jerusalem, über Kabbala in Safed, die im Philosophischen Seminar der Universität am Freitag, den 12. Juli, von 16 bis 18 Uhr, am Montag, den 15. Juli, von 16 bis 18 Uhr und am Mittwoch, den 17. Juli 1957, von 14 bis 16 Uhr stattfinden, darf die Frankfurter Öffentlichkeit weit über den Kreis der religionshistorisch und judaistisch Interessierten hinaus mit allergrößtem Nachdruck hingewiesen werden. Scholem ist ohne Frage der bedeutendste heute lebende Kenner der Kabbala, nicht nur ein Gelehrter von Weltruf, sondern zugleich eine philosophisch-spekulative Kraft außerordentlichen Ranges. Die Entdeckung des Autors des berühmtesten kabbalistischen Textes, des Buches Sohar, ist ihm zu danken; die Kontinuität zwischen mystischen Tendenzen des Judentums wie des Sabbatianismus, Chassidismus und Frankismus ist von ihm mit größter Evidenz herausgearbeitet worden. Durch sein in englischer Sprache unter dem Titel »Major Trends in Jewish Mysticism« erschienenes Hauptwerk, wurde zum ersten Mal das dem talmudisch-rationalen Wesen entgegengesetzte, gnostischspekulative Element der nachchristlichen jüdischen Religionsgeschichte als historische Einheit begriffen und dabei in all seiner Differenziertheit dargestellt.
Dies Werk ist dem Andenken Walter Benjamins gewidmet, mit dem Scholem aufs engste befreundet war. Bei der nachhaltigen Wirkung, welche Benjamins Denken in Deutschland auszuüben beginnt, seitdem der Suhrkamp Verlag die zweibändige Ausgabe seiner Werke vorgelegt hat, dürften Scholems Gedankengänge von besonderem Interesse für die philosophisch Gerichteten sein. Zentrale Positionen theologischer Art, die bei Benjamin kaum je offen ausgesprochen, aber stets latent wirksam geblieben
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